Arnulf von Scheliha

Migration in ethisch-religiöser Reflexion. Theologiegeschichtliche und ethische Erwägungen zu einem aktuellen Thema

Von entscheidender Bedeutung ist die naturrechtliche Begründung dieses »Wohlwollensgebotes«, die Kant gibt. Es ist verankert in dem Recht »des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der als Kugelfläche [die Menschen] [. . .] sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern [. . .] sich doch neben einander dulden müssen, ursprünglich aber niemand an einem Ort der Erde zu sein mehr Recht hat als der Andere«. (a.a.O., 79f)

Bezieht man dies auf die Migrationen der Gegenwart, dann ist es nicht mehr so einfach, die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge als unmoralisch und tendenziell parasitär darzustellen. (a.a.O., 86)

„[Das] führt […] zu einer Umkehr der Begründungspflicht. Im Verhältnis zum »Gemeinschaftlichen Besitzes der Erdoberfläche« wird jede Grenzziehung ethisch begründungspflichtig. (a.a.O., 87)

Der auf jeder Zivilisationsstufe erreichte Status Quo [darf] die Geltung jener grundlegenden Norm des »gemeinschaftliche[n] Besitz[es] der Erdoberfläche« nicht vollständig unterlaufen […] Ebenso wenig kann man mit Berufung auf Tradition, Besitz, Volk, Kultur oder Wohlstand Migranten kalt abweisen. (a.a.O., 87f)

Die Flüchtlingskonvention ist keine »Schön-Wetter«-Verpflichtung, vielmehr kann ihre Erfüllung mit der Irritation des bürgerlichen Wohlbefindens und mit materiellen Einbußen verbunden sein. Wegen der Hochrangigkeit der humanitären Ziele sind daher im Sinne einer Abwägungsentscheidung gegebenenfalls andere, ebenfalls hochrangige politische Ziele, wie die »schwarze Null« in der Haushaltspolitik, zurückzustellen, um die Lasten tragen zu können. (a.a.O., 96)

Ein paar Zitate aus der Antrittsvorlesung von Arnulf von Scheliha am 11. November 2015 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Sie ist in der Zeitschrift für Theologie und Kirche 113/1 (2016), 78–98 veröffentlicht. Eine Kurzform findet sich unter dem Titel „Gebot des Wohlwollens. Warum Regierung und Bürger Flüchtlingen helfen müssen“ in Zeitzeichen 17/3 (2016), 8–11. Ausgesprochen lesens- und bedenkenswert!