Tag 4 – Komplet

An Stelle der Laudes wird an jedem Donnerstag eine Evangelische Werktagsmesse gefeiert. Darauf habe ich mich besonders gefreut, weil ich ja nicht über das Wochenende und damit am Sonntag hier bin. Die Werktagsmesse hat eine vergleichsweise schlichte Form. Im Zentrum steht die Feier des Abendmahls. Eine Predigt gab es nicht, nach der Evangeliumslesung folgte eine Zeit der Still. Meinem spirituellen Bedürfnissen kommt das sehr entgegen. Die Liturgische Form der Abendmahlsfeier als evangelische Messe ist auch meine liebste Form.

Heute Morgen habe ich aber noch etwas anderes gespürt. Die Form ist mir doch gar nicht so wichtig. Wichtig ist mir, gemeinsam Abendmahl zu feiern. Ich bin überzeugt, dass es dieses Bedürfnis häufiger gibt, als wir gemeinhin denken. In meiner Zeit als Schulpfarrer am Theodor-Fliedner-Gymnasium habe ich das ganz deutlich wahrgenommen. Nachdem die Schulgemeinde die Feier des Abendmahls an der Schule entdeckt hatte, wurde der Wunsch nach Abendmahlsfeiern zu verschiedenen Anlässen immer häufiger geäußert. So haben wir den letzten Schulgottesdienst vor dem Ende der Unterrichtszeit der Abiturientinnen und Abiturienten mit Abendmahl gefeiert, genauso den jährlichen Gottesdienst von Eltern für Eltern.

Die Form ist zweitrangig. Sie muss zur feiernden Gemeinde passen und angemessen zum Ausdruck bringen, was hier geschieht. Mit den regelmäßigen Frühschichten am Theodor-Fliedner-Gymnasium haben wir eine gute Form für die feiernde Schulgemeinde gefunden. In der Johannesmesse in der Düsseldorfer Stadtkirche gibt es eine feierliche Form der evangelischen Messe. Am Gründonnerstag in der Hausandacht der Mitarbeitenden des Hauses der Landeskirche gibt es eine schlichte Form der Feier. Die Werktagsmesse heute morgen hat bei mir den Impuls gesetzt zu schauen, wie und wo wir häufiger gemeinsam Abendmahl feiern können, in der je angemessenen Form.

Den Exerzitien heute liegt ein Abschnitt aus dem Römerbrief zugrunde:

Teilt das, was ihr habt, mit den heiligen Geschwistern, wenn sie in Not sind. Seid gastfreundlich. Segnet die, die euch verfolgen, setzt auf das Gute in ihnen und verflucht sie nicht. Freut euch mit den Glücklichen und weint mit den Traurigen.

Römer 12,13ff

Ein recht bekannter Text, der in der Lutherbibel die Überschrift „Das Leben der Gemeinde“ trägt. Die Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache paraphrasiert den griechischen Text an einigen Stellen. Am Anfang zum Beispiel, da ist der griechische Text deutlich kürzer: Nehmt Anteil an den Nöten der Heiligen. Da scheint sich der Text im Blick auf die Gemeinde nach innen zu richten. Die Heiligen, das sind die Gemeindeglieder, die Glaubenden, die Getauften. Doch schon die Rede von „Menschen,  die euch verfolgen“ (12,14), macht deutlich, dass hier grundsätzlich alle Menschen im Blick sein müssen. Ja, so stelle ich mir das Leben der Gemeinde vor. Da kommt mir der Text sehr entgegen.

Ich wollte ihn aber doch vor allem „gegen mich“ und hier vielleicht auch „gegen mein Gemeindeverständnis“ lesen. Hier mein Versuch: Ich höre im ersten Vers einen deutlichen Anklang an den Bibeltext von Dienstag. Anteilnehmen an den Nöten der anderen, einander Lasten tragen, Gastfreundschaft üben, gemeinsam lachen und weinen, das ist die Lebensäußerung des christlichen Glaubens, wenn er das Gesetz des Messias, das Gesetz Christi erfüllt.

Ich höre auch einen Anklang an den Impuls aus den Schriften Bonhoeffers von gestern. Selbst in einer Welt, die ohne Gott auskommt, wird das als besonderer Beitrag des Christentums geschätzt. Genauer, es ist häufig das einzige, das Menschen heute noch positiv mit den christlichen Kirchen verbinden. Jesus ist ihnen oft fast völlig unbekannt. Was Christinnen und Christen in der Erfüllung seines Gesetzes tun, kennen und schätzen sie aber trotzdem.

Der Impuls aus den Schriften Dietrich Bonhoeffers für heute lautet:

Den Christen rufen nicht erst die Erfahrungen am eigenen Leibe, sondern die Erfahrungen am Leibe der Brüder, um derentwillen Christus gelitten hat, zur Tat und zum Mitleiden.

Dietrich Bonhoeffer, Werke, Band 8, S. 34

Vielleicht gilt das auch für Nichtchristen. Die Not wahrnehmen, Anteil nehmen, Lasten tragen, Nächstenliebe üben und Feindesliebe, Frieden stiften. Viele Menschen, denen Jesus völlig unbekannt ist und die keinen Bezug zu Kirche oder Gemeinde haben, spüren, dass das notwendig ist, und sind auch bereit, etwas zu tun. Sie brauchen dazu vielleicht nur eine konkrete Gelegenheit und andere, mit denen sie das gemeinsam tun können. Das könnte doch Aufgabe der christlichen Gemeinde sein: Anderen Gelegenheit zu bieten, angesichts der Not und des sinnlosen Leidens nicht zu resigieren, sondern mitzuleiden und zu handeln.  Dann sollte es aber auch Aufgabe der christlichen Gemeinde sein, ihnen zu erklären, dass sie gerade dabei sind, das Gesetz Christi zu erfüllen. Weil sie durch ihr Tun das Leiden Gottes an der gottlosen Welt mitleiden und Jesus Christus folgen.

Heute Nachmittag habe ich die kleine Wanderung unternommen, die ich am Dienstag aus Sorge angesichts der dunklen Wolken abgebrochen habe. Knapp acht Kilometer um das Kloster herum durch den Wald. Ein schöner, nicht ganz hindernisfreier Weg, in klarer, kalter Luft. Mangels digitaler Datenverbindung kann ich nicht herausfinden, wie kalt es ist. Es fühlt sich aber ziemlich kalt an.

Mit der Komplet heute Abend geht meine Klosterwoche schon zu Ende. Morgen früh werde ich noch vor der Laudes und dem Frühstück das Taxi zum Bahnhof nehmen müssen, um eine gute Verbindung zurück nach Duisburg zu bekommen.

Ich habe die Zeit im Kloster Kirchberg sehr genossen. Im Rhythmus der Tagzeiten zu leben, zu beten und zu arbeiten, hat mir wirklich gut getan. Wie kann es gelingen, in diesem Rhythmus zu bleiben?

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