Heute morgen bin ich um 7:00 Uhr losgelaufen ohne darüber nachzudenken, dass ich laufe. Alles geht ganz automatisch, der Rucksack ist fast ein Teil von mir, die Schuhe sitzen perfekt, die Stöcke finden den Takt. Nicht nur ich laufe, es läuft.
Es ist noch dunkel und überall in der Umgebung krähen die Hähne. Erst der Weg aus Arcade hinaus zeigt die schönsten Stellen der Stadt und das im Licht der aufgehenden Sonne.
Da meine Gedanken sich nicht mehr mit dem Laufen beschäftigen, sind sie frei für alles, was kommt. Das sind unterschiedliche Gedanken, schöne und hässliche, erwünschte und unerwünschte. Ich wundere mich, weil ich so manches für erledigt gehalten habe. Es ist wie bei der Meditation. Die Gedanken kommen auf und ziehen weiter, wenn ich nicht auf sie einsteige.
Heute dauert es lange, bis auf dem Weg eine Bar oder ein Café fürs Frühstück auftaucht. Dafür finde ich am Wegrand eine kleine Kapelle für das Morgengebet. Die Akustik ist super und der Klang des (gesungenen) Benedictus klingt nochmal ganz anders als sonst. Die Gebete laut zu sprechen fällt mir inzwischen leicht.
In Pontevedra verabschiedet sich dann Annieke. Eigentlich wollte sie in zehn Tagen bis Santiago laufen, bevor sie mit ihrem Freund Urlaub macht. Das hat sie nicht geschafft. Sie sagt, dass der Caminho sie diesmal lehre, etwas zu tun ohne es beenden zu können. Hier war am Ende tatsächlich der Weg das Ziel.
In der Stadt ist mächtig was los. Wir schauen uns ein wenig um, wollen aber noch weiter. An der Capela da Virxe Peregrina de Pontevedra treffe ich auf einen Bettler. Er erinnert mich daran, dass ich in Porto entschieden hatte, den Bettlern, die mir auf dem Weg begegnen, etwas zu geben. Das tue ich ansonsten in der Regel nicht. Auf dem Jakobsweg schlafe ich in Herbergen, die von Ehrenamtlichen geführt werden gegen eine Spende. Ich esse in den Restaurants Menüs für Pilger für weit unter zehn Euro. Ich werde von Fremden zum Essen eingeladen, ohne darum bitten zu müssen. Deshalb habe ich jetzt immer ein paar Münzen in der Tasche, um etwas zu geben und nicht nur zu nehmen.
Nachdem wir schon ein ganzes Stück aus Pontevedra heraus gelaufen sind, kommt die Stelle, an der die „Variante Espiritual“ vom Hauptweg abzweigt. Wir folgen dem Weg den Berg hinauf durch eine noch einmal etwas andere Landschaft als bisher.
Ziel der Etappe ist das Kloster San Juan de Poio, in dem eine Herberge untergebracht ist. Ein beeindruckendes Gebäude, in dem man das alte Kloster und die Kirche besichtigen kann. Es ist außerdem eine günstige Unterkunft mit einem gewissen Hotelkomfort.
Einziges Problem im Hotelzimmer ist das Trocknen der gewaschenen Wäsche. Das ist die Stunde der Wäscheleine, die ich im Rucksack mit mir herumtrage. Die Liste der Dinge, die ich nicht benutzt habe, wird kürzer und kürzer.
Auch das Essen läuft heute nicht so ganz nach Plan. Zwar habe ich gelesen, dass es in spanischen Restaurants außerhalb der Touristenstädte erst ab 21:00 Uhr Essen gibt, aber wer kann ahnen, dass die Spanier sich auch tatsächlich daran halten. Also haben wir eingekauft und neben der Wäscheleine ein Picknick im Zimmer veranstaltet.
Ich bin mal gespannt, wie es Dave und Raymond, den beiden Iren in Punkte Wäschetrocknen und Abendessen ergangen ist. Sie sind nämlich auch auf der Variante Espiritual unterwegs. Wir werden sie morgen sicher wieder irgendwo unterwegs treffen.