Santiago de Compostela

Die Diözese Rottenburg-Stuttgart verantwortet die Pilgerseelsorge in Santiago de Compostela. Die sehr netten und engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter laden zu verschiedenen Angeboten ein. Heute morgen habe ich die Pilgermesse in deutscher Sprache besucht, da sich irgendwie kein evangelischer Gottesdienst finden ließ. Obwohl heute an Maria Himmelfahrt die Texte und Themen naturgemäß sehr Maria-lastig waren, hat der Priester einen sehr einladenden und ökumenisch offen Gottesdienst gestaltet. Das war eine schöne Erfahrung.

Nach einem ausgiebigen Frühstück mit Franziska und Jan sind wir drei noch einmal in die Kathedrale gegangen, um zu sehen, ob am heutigen Feiertag das große Rauchfass zum Einsatz kommt. Diese Idee hatten noch so circa tausend andere, sodass es schon um zehn Uhr brechend voll war. Tatsächlich begann dann die Pilgermesse um 11:40 Uhr mit einer Prozession und der Inzensation mit dem großen Rauchfass. Ein atemberaubendes Schauspiel. Das hatte ich unbedingt sehen wollen. Wie gut, dass heute ein katholischer Feiertag ist.

Rund um die Kathedrale begegnen mir immer wieder Pilger, die ich unterwegs kennengelernt habe. So lief mir heute die polnische Pilgergruppe genauso über den Weg wie die zwei ungleichen Schwestern aus Italien. Der polnische Priester durfte dann auch als Concelebrand bei der Pilgermesse dabei sein. Er kam allerdings leicht verspätet aus der Sakristei gerannt und versuchte sich schnell noch vor Bischof und Weihbischof in die Prozession einzureihen. Ein Bild für die Götter.

Weil das Pilgermuseum wegen des Feiertags ab Mittag geschlossen war, habe ich am Nachmittag noch die beiden Klöster in der Nähe der Kathedrale besucht. Beide haben beeindruckende Klosterkirchen. Im Monastrio de San Pelayo de Ante-Altares wurde in der Kirche Orgel gespielt, so dass ich eine ganze Weile dort gesessen und zugehört habe. Im Franziskanerkloster hat mich vor allem ein Mönch fasziniert, der in der Kirchenbank saß und mit dem Smartphone seine Nachrichten gecheckt hat: Klosterleben 2.0.

Um 18.00 Uhr haben Franziska, Jan und ich am spirituellen Rundgang um die Kathedrale teilgenommen, den die Pilgerseelsorge anbietet. Es ging zum einen um die Statuen und Reliefs an den Fassaden und Portalen der Kirche, zum anderen aber auch um die Frage, was wir von unserem Weg mit nach Hause nehmen werden. Das passte ausgezeichnet zum letzten Abend, den wir mit einer Flasche Wein auf dem Platz vor der Kathedrale genossen haben.

Mitnehmen möchte ich in jedem Fall die Konzentration auf das, was gerade dran ist. Egal ob Vorbereiten, Laufen, Beten, Duschen, Wäschewaschen, Essen, Schreiben, Reden oder Schlafen, alles hatte vierzehn Tage lang seine Zeit. Ich habe alles zu seiner Zeit getan, aber auch nur dann. Wenn ich etwas getan habe, dann habe ich nur das getan. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich mich so gut und lebendig gefühlt habe wie lange nicht.

Auch das Erleben, dass alles, was ich an Dingen zum Leben brauche, in einen Rucksack passt, war sehr eindrücklich. Außer der Stirnlampe habe ich wirklich nichts vermisst. Auch in den Unterkünften war mir nur wichtig, dass ich ein Bett und eine Dusche habe. Das muss jetzt natürlich nicht immer so sein, aber es ist ein gutes Gefühl, dass ich nicht mehr brauche, um glücklich und zufrieden zu sein.

Die Frage nach dem Geben und Nehmen wird mich sicher auch noch weiter beschäftigen. Ich habe noch nie so viel Offenheit, Herzlichkeit, Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft erlebt wie auf dem Weg, insbesondere in Portugal. Ich habe auch bei mir selber gemerkt, dass ich offener mit meiner Unsicherheit und Hilfsbedürftigkeit umgegangen bin und gleichzeitig selber aufmerksamer und hilfsbereiter geworden bin. Mir ist klar geworden, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind.

Dankbar bin ich auch für die vielen interessanten Begegnung, die guten Gespräche und die Weggemeinschaft. Gerade weil wir nicht alle dieselben Strecken und Etappenziele gewählt haben und nicht im gleichen Tempo unterwegs waren, hab ich von anderen und ihrem Caminho viel gelernt.

Am Ende ist es mir am wichtigsten gewesen, wirklich auf dem Weg zu sein. Das klingt banal, ist es aber nicht. Ich komme – glaube ich – oft ans Ziel, bin aber nur selten bewusst auf dem Weg. Das hat sich im Laufe der vergangenen zwei Wochen deutlich verändert. Ich war tatsächlich auf dem Weg und wünsche mir, dass das so bleibt.

Während ich das hier schreibe, bin ich schon auf dem Weg nach Hause und ich freue mich sehr auf meine Familie. Zuhause wird dann wieder Alltag sein. Mein Caminho war eine ganz besondere Erfahrung, doch der Caminho ist nicht mein Leben. Aber das Leben ist ein Caminho. Vielleicht bin ich nach den Erlebnissen und Erfahrungen der vergangenen zwei Wochen auf diesem Weg ein bisschen anders unterwegs.

Nachtrag:

Das Morgengebet heute hat über den Wolken stattgefunden. Der Psalm passt perfekt zu meinem Rückblick auf den Jakobsweg:

Lobe den HERRN, meine Seele,
und alles in mir seinen heiligen Namen!

Lobe den HERRN, meine Seele,
und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat:

der dir all deine Schuld vergibt
und all deine Gebrechen heilt,

der dein Leben vor dem Untergang rettet
und dich mit Huld und Erbarmen krönt,

der dich dein Leben lang mit seinen Gaben sättigt;
wie dem Adler wird dir die Jugend erneuert.

Der HERR vollbringt Taten des Heils,
Recht schafft er allen Bedrängten.

Er hat Mose seine Wege kundgetan,
den Kindern Israels seine Werke.

Ehre sei dem Vater und dem Sohn
und dem Heiligen Geist,

wie im Anfang,
so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit.

Amen.

(Psalm 103)

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