Kollegiumsandacht zum Schuljahresbeginn
Ich hab die ganzen Ferien über nichts gemacht, nur gekocht, gelesen und geschlafen.
Wer mich kennt, der weiß, dass diese Aussage nicht von mir sein kann. Leider. Ich beneide den Kollegen, der seine Ferien so zusammenfassen kann. Ich nehme mir das jedes Jahr wieder vor: Nichts zu tun. Anfangs gelingt das auch. Wenn wir im Urlaub sind, dann tue ich so gut wie nichts, noch nicht einmal kochen, nur laufen, lesen und schlafen. Doch schon beim Warten auf die Fähre bei der Heimfahrt werde ich kribbelig. Da entstehen in meinem Kopf die ersten To-Do-Listen: Das Haus, der Garten, das Auto… Zu Hause angekommen, stürze ich mich dann in das, was zu tun ist. Da ohne die Schule ja so viel Zeit ist, bekomme ich eine Menge geschafft und, wenn ich schon mal dabei bin, dann mach ich auch gleich dies und das noch. Bis es meiner Frau zu bunt wird. Weil ich ein bisschen zu viel aufgeräumt, sortiert, ausgemistet und optimiert habe. Dann sagt sie so Sachen wie: „Muss du nicht irgendwas lesen, forschen, einen Aufsatz schreiben oder so?“ – „Na klar“, sag ich dann und verschwinde dankbar im Arbeitszimmer. Jetzt hab ich Zeit, um in Ruhe nachzudenken. Zum Beispiel über diese Frage:
Warum beginnt die Bibel mit „B“ und nicht mit „A“?
Nicht das Wort „Bibel“, sondern der Bibeltext. Nicht der deutsche Text, der ja bekanntlich mit „A“ beginnt :
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. (Gen 1,1)
Es geht um den hebräischen Text:
Er beginnt eindeutig mit „B“ bzw. „Beth“. – Warum? Warum steht da kein „A“ am Anfang, sondern ein „B“? – Da kann man schon mal in den Sommerferien ein paar Wochen drüber nachdenken… – Ihr lacht, aber ich finde das wirklich interessant und spannend. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass für uns alle diese Frage heute Morgen von Bedeutung ist. Denn der Anfang und das Anfangen werden am ersten Tag nach den Ferien ganz von selbst zum Thema. Das ist mir in den Gesprächen vorhin im Lehrerzimmer aufgefallen. Nicht immer explizit, aber ganz häufig implizit ging es um den Beginn des neuen Schuljahres und den eigenen Start.
Dabei sind es ganz unterschiedliche Anfänge in unserem Kollegium. Für zwei von uns ist das heute ein Neuanfang. Das erste Schuljahr am TFG. Für andere ist es das zweite Schuljahr am TFG. Ich vermute, dass sie heute ganz anders hier sitzen als im letzten Jahr. Für die Referendarinnen und Referendare beginnt heute das Examensjahr, ein entscheidendes Schuljahr also. Für ein paar von uns ist es das letzte Schuljahr. Ein letzter Start nach den Sommerferien, auch ein denkwürdiges Ereignis. Für alle anderen ist es das x-te Schuljahr, das dritte, vierte, zehnte, zwanzigste, usw. Wir kennen den Anfang und das Anfangen und trotzdem ist es immer wieder neu und anders. Denn wie wir in das Schuljahr starten, ist stark davon abhängig, wie es uns gerade geht und was wir in den vergangenen Wochen erlebt haben. Wer sich gut erholt hat – im Urlaub oder zu Hause, Sonne getankt am Meer, Bergluft geschnuppert in größer Höhe, Sport getrieben, Freunde getroffen, gekocht, gelesen geschlafen –, der kommt gestärkt und motiviert. Wer die Ferien auf und mit Baustellen verbracht hat, im wörtlichen und/oder im übertragenen Sinne, wer mit emotional belastenden Situationen im Familien- oder Freundeskreis konfrontiert war, der kommt, weil es losgehen muss, ist aber gedanklich noch ganz wo anders. Wahrscheinlich war es gar nicht nur das eine oder das andere, sondern von allem ein bisschen. So unterschiedlich unsere Ferien waren, so unterschiedlich wird auch unser Erleben und unser Gefühl heute morgen sein. Das eine hat mit dem anderen zu tun.
Deshalb ist es gut, dass die Bibel nicht mit „A“ anfängt, sondern mit „B“. Dass allen unseren Anfängen, dass allen Anfängen überhaupt, ja, dass sogar schon dem aller ersten Anfang in der Schöpfung etwas vorausgeht. Gott selber ist vor allem Anfang. Er ist in allem Anfang. Gott ist selber der Anfang. Die rabbinische Theologie hat gerade das im Buchstaben „B(eth)“ entdeckt.
Das Beth sieht aus wie eine Klammer, die nach vorne – in Leserichtung von rechts nach links – offen ist, nach hinten aber geschlossen. Was vor dem Anfang war, sagen die Rabbinen, ist nicht wichtig.
Die Schrift, sagten die Rabbiner, beginnt mit diesem Beth, damit wir uns nicht fragen, was darüber, darunter, oder dahinter sei, sondern damit wir dem lauschen, was kommt. Israel kennt keine Geburts- oder Entstehungsgeschichte Gottes. Er ist der ganz Andere. Anders als Himmel und Erde, die er schuf, steht er über dem Erschaffenen. Daher also das geheimnisvolle Beth am Anfang. Jenes Beth gleicht einem kleinen Haus, und das bedeutet es auch auf Hebräisch: Haus. Das wissen die Rabbinen ganz genau: „Mein Kind, wenn wir auch in der Fremde sind, so haben wir doch einen festen Grund unter den Füßen und ein Dach über dem Kopf; unser Rücken ist gedeckt und wir haben eine Zukunft vor uns. Manche meinen, wir würden von geheimnisvollen Mächten regiert. Andere meinen, es gebe überhaupt nichts, nur Leere. Glaube ihnen nicht, mein Kind. Denke immer an den ersten Buchstaben unseres großen Buches. Das ist unser ganzer Glaube.[1]
Ich finde, das ist ein guter Gedanke für unser Anfangen am Beginn des neuen Schuljahres. Wenn wir das Schuljahr mit einer Andacht beginnen, dann starten wir doch aus der Zuversicht heraus, dass wir in allem, was kommt behütet sind. Weil Gott all unseren Anfängen vorausgeht. Weil sein Segen uns umgibt wie ein kleines, schützendes Haus. Ein Haus, das uns den Rücken freihält, egal, was hinter uns liegt. Das uns einen festen Boden bereithält, auch wenn Unwägbares bevorsteht. Das mit seinem Dach allem standhält, was über uns hereinbrechen mag. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, lasst dieses Schuljahr mit einem „B(eth)“ beginnen. – Die Bibel fängt schließlich auch nicht mit „A“ an, sondern mit „B“.
[1] Nico ter Linden: Es wird erzählt… Von der Schöpfung bis zum Gelobten Land, Gütersloh 1998, 12.
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