Tanz (…) ist die Umsetzung von Inspiration (…) in Bewegung. Tanzen ist ein Ritual, ein Brauch, eine darstellende Kunstgattung, eine Berufstätigkeit, eine Sportart, eine Therapieform, eine Form sozialer Interaktion oder schlicht ein Gefühlsausdruck.[1]

Um ehrlich zu sein: Ich habe zum Tanzen bisher kein gutes Verhältnis gefunden. Mit 15 haben meine Eltern mich zur Tanzschule angemeldet, weil die Kenntnis der Standardtänze ihrer Meinung nach zur Allgemeinbildung gehören. Ein guter „Brauch“ eben. – Es war gruselig. Mit 18 waren die Discos von Techno-Musik erfüllt und das Tanzen hatte etwas von unkontrolliertem Zucken. Für meine Mitschülerinnen und Mitschüler war das ganz sicher „eine Form sozialer Interaktion“ und auch „ein Gefühlsausdruck“. – Für mich nicht. Erst als unsere Hochzeit anstand und meine Frau und ich über den traditionellen Hochzeitstanz nachgedacht haben, da hat sich das ein bisschen geändert. Wir haben zusammen einen Hochzeitscrashkurs in einer Tanzschule besucht und ein bisschen Spaß am Tanzen bekommen. – Ein Kollege (Trainer für liturgische Präsenz) sagte allerdings nach unserem Hochzeitstanz: „Du bist bei Tanzen aber noch nicht im Erleben angekommen.“ – Das kann ich bestätigen. Um es kurz zu machen: Tanzen ist nicht meine bevorzugte Form der „Umsetzung von Inspiration in Bewegung“. Und trotzdem – oder gerade deshalb – möchte ich heute über das Tanzen sprechen.

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Denn so stelle ich mir das vor, was der Prophet Jesaja schreibt:

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten,
die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen,
die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!
(Jes 52,7)

Was könnten sie anderes tun, die Füße der Freudenboten, als tanzend sich fortbewegen, während sie Frieden verkünden, Gutes predigen und Heil verkünden. Diese Füße müssen tanzen und damit genau das Gegenteil tun von dem, was um sie herum geschieht. Um sie herum da marschieren die Stiefel der Soldaten im Viervierteltakt (vgl. Jes 9,4). Deshalb müssen sie tanzen, die Füße der Freudenboten, um ihre Inspiration in Bewegung umzusetzen: Frieden und Befreiung. Die gute Nachricht: das Evangelium. Das marschiert nicht im Viervierteltakt. – Es tanzt im Dreivierteltakt![2] Unvergessen die Szene aus der Blechtrommel, in der Oskar Matzerath unter der Tribüne den Nazi-Aufmarsch aus dem Takt bringt und die Uniformierten anfangen zu tanzen. – Im Dreivierteltakt lässt sich nicht marschieren!

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Wie steht es denn mit euch? Habt ihr getanzt in den Ferien? Im warmen Sand zum Takt der Wellen? Oder im Angesicht majestätischer Berge? Mit der Liebsten / dem Liebsten im Arm? Oder mit den Kindern im Kreis? Und wie geht es euch jetzt, wo der Alltag beginnt und der Gong wieder den Rhythmus übernimmt? Wie seid ihr unterwegs ins neue Schuljahr? Wie sieht es mit eurer Beinfreiheit aus? Ich habe mir – wie immer – viel vorgenommen für das neue Schuljahr. Einiges möchte ich anderes machen, manches Alte weglassen und Neues ausprobieren. Gut, das ist nicht neu. Das nehme ich mir jedes Schuljahr vor. Mit sehr begrenztem Erfolg und entsprechend großer Enttäuschung. Ich glaube, das liegt am Takt. Deshalb will in diesem Schuljahr den Takt ändern. Dreiviertel- statt Viervierteltakt. Dieses Schuljahr möchte ich tanzen!

Wenn ich mir etwas vornehme, dann formulieren ich ein qualitatives Ziel und kein quantitatives. Also nicht „ich gehe jede Woche mindestens dreimal zehn Kilometer joggen“, sondern „wenn ich joggen gehe, dann genieße ich die Bewegung, freue mich, wenn ich am Muskelkater merke, dass ich etwas getan habe und halte die gute Erfahrung fest ohne mich darüber zu ärgern, dass ich wieder nur einmal statt dreimal zum Joggen gekommen bin“. Das ist der kleine, aber entscheidende Unterschied! Die Vorsätze enthalten keine Angaben über Häufigkeiten wie jeden Abend, dreimal die Woche, einmal im Monat oder regelmäßig. – Das ist Marschieren im Viervierteltakt.

Stattdessen enthalten sie Aussagen über die Qualität des Erlebens wie genießen, erfreuen, verbringen, erfahren, spüren oder erleben. – Das ist der Rhythmus des Tanzens im Dreivierteltakt. Lasst uns aus dem dem TFG eine Tanzschule machen! Wenn wir eine neue Unterrichtsidee ausprobieren, dann freuen wir uns am Erfolg, ohne uns vorzunehmen alle Reihen neu zu konzipieren. Wenn wir uns in Pausen oder Freistunden treffen, dann erzählen wir uns erst mal davon, was wir gutes erlebt haben und dann erst – wenn es uns noch einfällt – von unserem Ärger oder Frust. Wenn wir unsere Arbeitsbereiche für die QA unter die Lupe nehmen, dann zeigen wir, wo wir erfolgreich sind und versuchen nicht schnell noch alle Schwachstellen auszubessern. Wenn wir den Kollegiumsausflug machen, dann haben wir eine tolle Zeit und reden nicht darüber, dass wir das viel zu selten machen.

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„Tanz (…) ist die Umsetzung von Inspiration (…) in Bewegung.“ – Was steht einer kirchlichen Schule besser an als ihre grundlegendste Inspiration – das Evangelium – in Bewegung umzusetzen. Damit selbst die, denen nichts davon verkündet ist, es nun sehen, und die, die nichts davon gehört haben, es merken: Dein Gott ist König! (vgl. Jes 52,15b) Sein Wort bestimmt den Takt unseres Lebens. Seine Botschaft befreit vom unbarmherzigen Marschieren. Sein Lied lädt ein zum Tanz. – Lasst uns das Schuljahr tanzen!

Mit den Füßen der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!

 

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Tanz (Abruf: August 2015).

[2] Die Idee zu dieser Auslegung verdanke ich der Synodalandacht von Pfarrer Dr. Ulrich Lüders vom 25.04.2015.

 

Download als pdf-Datei: Kollegiumsandacht_2015