Essay über die Anpassung der kreiskirchlichen Strukturen im Kirchenkreis Düsseldorf

Nach jahrelangen Verhandlungen fusionierten am 1. Juni 2007 die drei Kirchenkreise in der Landeshauptstadt Düsseldorf zum Evangelischen Kirchenkreis Düsseldorf. Seitdem ist die Arbeit des Kirchenkreises in fünf Abteilungen und synodalen Fachausschüssen organisiert: Verkündigung, Seelsorge, Bildung, Diakonie und Finanzen & Organisation. Seit April 2011 befassen sich die Gemeinden und Abteilungen des Kirchenkreises auf unterschiedlichen Ebenen unter dem Titel Standortplanung 2020/2030 mit dem künftigen Zuschnitt der Kirchengemeinden als gemeindliche Standorte hinsichtlich Pfarrstellenzahl, Personalkonzept und Kirchengebäude, um deren Zukunftsfähigkeit zu sichern. Die Kreissynode Düsseldorf beschließt im April 2013 eine Prozessplanung und beauftragt eine externe Projektleitung für das Projekt zukunft kirche. Ziel der Anstrengungen ist es, dass „die Evangelische Kirche (…) auch im Jahr 2030 erkennbar und einladend in der Stadt Düsseldorf präsent (ist)“[1]. Im April 2014 bezieht die Kreissynode die funktionalen Dienste explizit in den Prozess zukunft kirche ein und beauftragt den Kreissynodalvorstand ein Konzept zur Anpassung der kreiskirchlichen Strukturen an die Rahmenbedingungen und Ergebnisses des Prozesses vorzulegen. In den Unterlagen zur Herbsttagung 2015 legt der Kreissynodalvorstand der Synode den Bericht über die „Planung zur Anpassung der kreiskirchlichen Strukturen“ vor, in dem die Ergebnisse einer externen Organisationsstudie vorgestellt werden und die Umstellung der bisherigen Organisation in fünf Abteilungen auf eine Organisation nach dem Kirche-vor-Ort-Prinzip vorgeschlagen wird. Auf der Synodaltagung wird der Organisationsvorschlag nach dem Kirche-vor-Ort-Prinzip vom Kreissynodalvorstand zurückgezogen und soll nicht Gegenstand der Diskussion sein. Die Aussprache im Plenum kommt dennoch immer wieder auf die in den Unterlagen vorgeschlagene Organisationsform zurück, weil damit grundlegende theologische und ekklesiologische Entscheidungen verbunden sind. Es kommt die Frage auf, wie im Blick auf die Anpassung der kreiskirchlichen Strukturen die theologischen Grundsatzfragen zu klären sind. Eine Antwort auf diese Frage möchte ich in drei Schritten versuchen.

Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit; abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.  (Koh 3,1–8)

1. Alles hat seine Zeit – Doch was ist jetzt an der Zeit?

Der Bibeltext passt irgendwie immer und das nicht nur in seiner sprichwörtlichen Kurzfassung ‚Alles hat seine Zeit’. In seine Dialektik von ‚geboren werden und sterben’, ‚abbrechen und bauen’, ‚schweigen und reden’, usw. lassen sich beliebig viele weitere Wortpaare einfügen. Alles hat seine Zeit. Folglich auch die Dinge, die den Evangelischen Kirchenkreis Düsseldorf zur Zeit bewegen: ‚Strukturen schaffen und Strukturen auflösen’, ‚Strukturen erproben und Strukturen überprüfen’, ‚Strukturdebatten führen und aufhören Strukturdebatten zu führen’, ‚theologische Grundsatzfragen klären und aufhören theologische Grundsatzfragen zu klären’. So weit so richtig. Dass es jetzt an der Zeit ist, die erprobten Strukturen zu überprüfen und gegebenenfalls aufzulösen und neue zu schaffen, darin sind sich im Grunde alle einig. Fraglich ist das wie. Ist es (immer noch oder schon wieder) an der Zeit Strukturdebatten zu führen und theologische Grundsatzfragen zu klären, oder ist es Zeit (endlich) damit aufzuhören? Für beides gibt es gute Gründe.

Die Ergebnisse der Organisationsstudie, die Rahmenbedingungen zurückgehender Finanz- und Personalressourcen und die ersten Überlegungen zu neuen Strukturmodellen machen deutlich, dass hinter den Strukturentscheidungen mehr oder weniger deutlich sichtbar theologische Grundsatzentscheidungen stehen: Was meinen wir, wenn wir von Kirche reden? Was verstehen wir unter Gemeinde? Was impliziert das Wort Ortsprinzip? Wie verstehen wir missionarisch? Was heißt Volkskirche? Wem gilt unsere Aufmerksamkeit und mit welchem Ziel? Wer sind die ‚anderen’ in einer ‚Kirche für andere’ und was wollen wir für, mit und von diesen ‚anderen’? Worin besteht der Unterschied zwischen Gemeindepfarramt und Funktionspfarramt? Gibt es zwischen ihnen ein Gefälle? Was ist der Kern unseres Auftrags? Was sind unsere Ziele? Wie hoch ist deren Orientierungsleistung? Lässt sich aus ihnen klar ableiten, wo wir Abstriche machen, wenn nicht mehr alles zu leisten ist?

Vieles spricht dafür die grundlegenden Fragen sorgfältig zu klären, bevor Entscheidungen über neue möglichst nachhaltige Strukturen getroffen werden. Auch die Ergebnisse aus der Organisationsstudie weisen auf die Bedeutung der klaren Positionierung und Zielbestimmung hin: „Wir müssen unsere Position, Ziele und Visionen noch genauer und verständlicher formulieren, um daraus noch stärker Motivation, Energie und Identifikation zu schöpfen“[2]. Daneben wird die Partizipation der Mitarbeitenden an den bevorstehenden Prozessen benannt: „Das Einbinden, Beteiligen und Weiterentwickeln unserer Mitarbeitenden ist eine permanente Aufgabe“[3]. Das aber spricht dafür, die notwendige theologische Grundsatzdiskussion möglichst mit allen an den synodalen Prozessen Beteiligten zu führen, um daraus auf breiter Front ‚Motivation, Energie und Identifikation’ zu schöpfen.

Andererseits kann man sich in theologischen Grundsatzfragen auch verlieren und sie kosten viel Zeit und Kraft. Beides steht nicht in beliebigem Maße zur Verfügung. Die Presbyterinnen und Presbyter, die Pfarrerinnen und Pfarrer, die Mitarbeitenden in den Einrichtungen des Kirchenkreises und in der Verwaltung sind seit Jahren mit mühevollen Strukturveränderungen befasst. Die Sehnsucht nach einer Zeit für das ‚Aufhören Strukturdebatten zu führen und Grundsatzfragen zu entscheiden’ ist groß. Von daher muss der verantwortliche Umgang mit den Ressourcen aller haupt- und ehrenamtlich an den synodalen Prozessen Beteiligter zu einem pragmatisch-lösungsorientierten Vorgehen mahnen und vor Grundsatzdebatten warnen. Was also ist jetzt an der Zeit?!

Der gottesfürchtige Hauptmann Kornelius hat eine Vision, in der ihm ein Engel erscheint und ihn auffordert, Simon Petrus aus der Stadt Joppe zu sich rufen zu lassen. Während seine Leute sich auf den Weg nach Joppe machen, hat dort auch Petrus eine Vision, in der er ein Tischtuch sieht voller unreiner Tiere, die zu schlachten er von einer Stimme aufgefordert wird. Als er sich weigert, sagt ihm die Stimme: „Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht verboten.“ Während Petrus noch über die Bedeutung dieser Worte nachdenkt, kommen die Leute des Kornelius und fragen nach ihm. Aufgefordert durch den Geist Gottes, der die Männer als von Gott gesandt ausweist, macht sich Petrus mit ihnen am nächsten Tag auf den Weg nach Cäsarea zu Kornelius und kehrt in dessen Haus ein. Er macht deutlich, dass ihm das als jüdischem Mann eigentlich verboten sei, Gott selber ihm aber klar gemacht habe, dass er keinen Menschen zu meiden brauche. Als er von der Vision des Kornelius hört, die seiner eigenen Vision korrespondiert, hält er den Anwesenden eine Predigt, während dessen der Heilige Geist auf die Zuhörer fällt und sie beginnen in Zungen zu reden und Gott zu loben. Petrus zieht daraus den Schluss, dass denen das Wasser der Taufe nicht verweigert werden kann, die den Heiligen Geist empfangen haben und er weist seine Begleiter an, die Heiden zu taufen. Als die Apostel in Jerusalem davon hören, stellen sie Petrus zur Rede, der ausführlich erzählt, was er erlebt hat. Er schließt mit den Worten: „Wenn nun Gott ihnen die gleiche Gabe gegeben hat wie auch uns, die wir zum Glauben gekommen sind an den Herrn Jesus Christus: wer war ich, dass ich Gott wehren könnte?“ Darauf verstummen die Kritiker und loben Gott für das, was er getan hat.  (vgl. Apg 10,1–11,18)

2. Die Taufe des Kornelius – Strukturanpassungen im ersten Jahrhundert n.Chr.

Die Apostelgeschichte erzählt ausführlich von der Taufe des ersten Heiden durch Petrus. Für ihren Autor markiert diese Geschichte einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der jungen christlichen Gemeinde, den Übergang zur beschneidungsfreien Heidenmission.[4] Er platziert sie planvoll unmittelbar vor der wichtigen Gründung der Gemeinde in Antiochia (Apg 11,19–26) und gestaltet sie zur größten Einzelerzählung seines gesamten Werks.

Die historisch-kritische Exegese hat hinter der lukanischen Erzählung eine judenchristliche Missionslegende ausgemacht, die „anhand einer fundamentalen Erfahrung des Petrus für die Mission an den ‚Gottesfürchtigen’ und ihre volle Integration in die Gemeinde ohne Beschneidung eintrat“[5]. In der Gestalt der Legende, die Lukas bei der Abfassung seiner Apostelgeschichte vorlag, stand die Legitimation eines innerhalb des palästinischen Judenchristentums umstrittenen Standpunkts durch die Autorität des Petrus im Vordergrund. Die redaktionelle Arbeit des Lukas zielt darauf ab, „den Vorgang als die entscheidende Begründung und Legitimation der Heidenmission durch Gott darzustellen. (…) Dieser Absicht dient vor allem der neu gestaltete Schluss mit der Geistausgießung über die Heiden, durch die das Geschehen den Charakter eines zweiten, heidenchristlichen Pfingsten erhält (Apg 10,44).“[6] Gleichzeitig stellt die Exegese heraus, dass hinter der theologisch angereicherten Gestalt der lukanischen Erzählung eine konkrete historische Erfahrung steht. Petrus wird auf einer seiner Reisen, die der Mission unter Israel dienten, tatsächlich eine Begegnung mit einem Gottesfürchtigen gehabt haben, die zu dessen Taufe führte, und er wird sich zur Rechtfertigung dieses Schrittes tatsächlich auf die Vision V.9–16 berufen haben.“[7] Historisch unwahrscheinlich ist aber, dass die singuläre Erfahrung eines einzelnen, wenn auch prominenten Missionars, ein so komplexes und strittiges Problem grundsätzlich erledigt hätte. „Die Erfahrung des Petrus bedeutete weder das grundsätzliche Ja der palästinischen Kirche zur Heidenmission noch gar die Anerkennung eines gesetzesfreien Heidenchristentums. Sie ist vielmehr historisch zu beurteilen als einer von mehreren Schritten innerhalb einer der Urchristenheit durch verschiedene Umstände aufgenötigten Entwicklung, an deren Ende das gesetzesfreie Heidenchristentum stand. Für Petrus selbst mag es sich zunächst nur um ein punktuelles Widerfahrnis ohne große grundsätzliche Bedeutung gehandelt haben. Erst als die Diskussion um die Stellung der Kirche zu den Heiden auf breiterer Ebene in Gang kam, dürften er und seine Anhänger in der Jerusalemer Urgemeinde das Ereignis von Cäsarea als von Gott gewirkte grundsätzliche Legitimation der Eingliederung der Gottesfürchtigen in die Gemeinde interpretiert haben.“[8]

Was hat das alles mit der Planung zur Anpassung der kreiskirchlichen Strukturen im Kirchenkreis Düsseldorf zu tun? – Die Endgestalt des lukanischen Textes in der Apostelgeschichte ist das Ergebnis theologischen Nach-Denkens der praktischen Erfahrungen in der recht kurzen Geschichte der noch jungen christlichen Gemeinden. Hinter den durchkomponierten Erzählungen der Apostelgeschichte wird eine Kirche sichtbar, die noch gar nicht weiß wo es hingeht auf dem Weg der Nachfolge Jesu Christi. Sie kennt noch keine Synoden und keine theologischen Positionspapiere. Die Apostel entscheiden ad hoc angesichts konkreter Fragestellungen und Konflikte. Ihre Briefe sind Gelegenheitsschreiben, keine systematische Theologie. Erst später müssen diese Briefe auf Fragen und Probleme antworten, für die sie gar nicht geschrieben sind. Unter den Aposteln gibt es nur wenig Abstimmung. So lange alles gut läuft, ist es nicht notwendig gemeinsame Strategien zu entwickeln. Dabei gilt es sich ständig neuen Herausforderungen zu stellen. Immer wieder finden sich aber überraschende Lösungen, nicht selten sind sie geradezu unerhört neu. Apg 10,45 erzählt, dass die judenchristlichen Zeugen der Geistausgießung auf die Heiden ‚außer sich gerieten’.[9] Die strukturellen Änderungen, die sich mit der Taufe des Kornelius ankündigen, sind offenbar so tiefgreifend, dass sie den Beteiligten eine Erschütterung zumuten, die nicht spurlos an ihnen vorüber geht. Sie muss dem Wirken des Heiligen Geistes zugeschrieben werden. Petrus und seine Begleiter werden vom Heiligen Geist um des Neuen Willen, das im Entstehen begriffen ist, nicht geschont. Es kommt zum Streit unter den Verantwortlichen. Petrus muss sich verteidigen. Die Bedeutung dessen, was er und seinen Begleiter erlebt haben, kommt so richtig erst zur Geltung, als Petrus „anfing und der Reihe nach erzählte“ (Apg 11,4; vgl. 11,5–17). Durch die narrative Erinnerung an die prägende Erfahrung im Haus des Kornelius, treten schließlich die dahinter stehenden theologischen Grundsatzfragen deutlich hervor, die am Schluss formuliert wird: „So hat Gott auch den Heiden die Umkehr gegeben, die zum Leben führt!“ (Apg 11,18).

Die Strukturanpassungen, von denen die Apostelgeschichte erzählt, entstehen nicht an sturmfreien Orten in einem kleinen Kreis von Theologen. Es sind auch keine einmütig beschlossenen Konsenspapiere. Vielmehr sind es praktische Erfahrungen hilfreicher Antworten und gelungener Lösungen. Die Apostelgeschichte ist ein Versuch diese Erfahrungen theologisch einzuholen. Sie setze dazu beim Erzählen von der Erfahrung gelungener Lösungen ein, entfaltet ihren theologischen Gehalt und weist ihnen damit eine Orientierungsleistung für zukünftige Entscheidungen zu.[10] Sie ist damit so etwas wie eine antike Form von ‚Wertschätzender Erkundung’ und ‚Theologischem Nach-Denken’.

3. ‚Wertschätzende Erkundung’ und ‚Theologisches Nach-Denken’

In jeder Organisation machen sich die Menschen ein Bild von dieser Organisation. Dieses beschreibt, wie man früher war, wie man heute ist und was man werden könnte. Es beschreibt das Verhältnis zur Außenwelt wie auch die Binnenbeziehungen. Es skizziert die Führung genauso wie die Mitarbeiter als Gesamtheit. Es ist ein kollektives Selbstbild, nicht eine Projektion Einzelner. Natürlich decken sich die Bilder keiner zweier Mitglieder dieser Organisation zu hundert Prozent. Und dennoch gibt es ein gemeinsames Bild, das von der großen Mehrheit getragen wird. (…) Was immer wir nun als Leitbild oder Vision auf Glanzpapier drucken oder an die Wand nageln, diese Geschichten beziehungsweise das Bild, für das sie stehen, sind die Vision, die tatsächlich wirkt. Sie enthalten das Zukunftsbild, an das die Mitglieder der Organisation tatsächlich glauben.[11]

3.1 Appreciative Inquiry

Die Methode Appreciative Inquiry des amerikanischen Professors für organisationsbezogene Verhalten, David Cooperrider,[12] heißt übersetzt wertschätzende Erkundung. Es handelt sich um einen systemischen Ansatz, der – konsequent ressourcen- und lösungsorientiert – beim Erkunden, Verstehen und Wertschätzen dessen ansetzt, was an Positivem und Wertvollen bereits vorhanden ist. „Appreciative Inquiry lässt sich dort einsetzen, wo ein Team, eine Organisation oder eine andere Art von Gemeinschaft sich entwickeln und/oder die Zukunft neu für sich und andere gestalten will. Bei jeder Veränderungsthematik, bei der es hilft, dass die Beteiligten ein größeres Bewusstsein ihrer bereits vorhandenen Fähigkeiten und Stärken und ein damit besseres Selbstbild entwickeln, kann A(ppreciative) I(nquiry) sehr hilfreich sein.“[13]

Der gesamte Prozess der wertschätzenden Erkundung gliedert sich in vier Phasen, die zirkulär immer wieder durchlaufen werden können. Zunächst gilt es die Ressourcen und vorhandenen Möglichkeiten zu entdecken (Discovery). Dann ist die Vision einer gemeinsamen Zukunft zu entwickeln, in der mehr des bisher schon Guten verwirklicht ist (Dream). Dann gilt es die Vision zu konkretisieren. Es soll genau beschrieben werden, woran zu erkennen sein wird, dass die Vision Wirklichkeit geworden ist (Design). Schließlich werden konkrete Schritte und Maßnahmen zur Umsetzung geplant (Destiny).[14]

Für die Planung zur Anpassung der kreiskirchlichen Strukturen im Kirchenkreis Düsseldorf kommt es mir auf den ersten Schritt an. Er zielt darauf ab, die Aufmerksamkeit der am synodalen Prozess Beteiligten auf die positiven (Leit-)Bilder des Evangelischen Düsseldorfs zu lenken, die sie in sich tragen und an die sie glauben. An dieser Stelle setzt die Methode an. Die am Prozess Beteiligten werden dazu angeregt zu erzählen. Sie sollen von Begebenheiten und Situationen erzählen, die sie als herausragende Momente in Erinnerung haben. „Momente der Freude oder Augenblicke, in denen man sich besonders wohl und lebendig fühlt. Situationen, wo man sich einbringen kann und etwas Besonderes bewirkt oder Inspirierendes erlebt.“[15] Momente in denen Haupt- und Ehrenamtliche gespürt haben, was es heißt wirksam und erfolgreich Evangelisch in Düsseldorf zu sein. Im Ergebnis werden die Konturen eines ‚bottom-up’ Leitbilds[16] unseres Kirchenkreises erkennbar[17], mit dessen Hilfe wir „unsere Position, Ziele und Visionen noch genauer und verständlicher formulieren (können), um daraus noch stärker Motivation, Energie und Identifikation zu schöpfen“[18]. Damit das gelingt, muss auf die ‚Wertschätzende Erkundung’ ‚Theologisches Nach-Denken’ folgen.

Was meinen wir, wenn wir von Kirche reden? Was verstehen wir unter Gemeinde? Was impliziert das Wort Ortsprinzip? Wie verstehen wir missionarisch? Was heißt Volkskirche? Wem gilt unsere Aufmerksamkeit und mit welchem Ziel? Wer sind die „anderen“ in einer Kirche „für andere“ und was wollen wir für, mit und von diesen „anderen“? Worin besteht der Unterschied zwischen Gemeindepfarramt und Funktionspfarramt? Gibt es zwischen ihnen ein Gefälle? Was ist der Kern unseres Auftrags? Was sind unsere Ziele? Wie hoch ist deren Orientierungsleistung? Lässt sich aus ihnen klar ableiten, wo wir Abstriche machen, wenn nicht mehr alles zu leisten ist?

3.2 Theologisches Nach-Denken

Es ist unumgänglich diese Fragen mutig zu stellten und sie ehrlich und klar zu beantworten. Dabei dürfen wir uns nicht durch falsche Rücksichtnahme schonen, sondern müssen engagiert darüber streiten und dabei vielleicht auch mal ‚außer uns sein’. Letztlich sind es doch die entscheidenden Testfragen für die Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit des zu entwickelnden Strukturmodells für unseren Kirchenkreis.

Im Nacheinander von ‚Wertschätzender Erkundung’ und ‚Theologischem Nach-Denken’ brauchen die theologischen Grundsatzfragen nicht allgemein und theoretisch beantwortet werden. Sie können gezielt und ressourcenorientiert als Interpretation der in der eigenen erfolgreichen Praxis des Evangelischen Düsseldorf entdeckten Potentiale und Perspektiven angegangen werden. So werden bei Einbindung möglichst aller haupt- und ehrenamtlich am synodalen Prozessen zukunft kirche Beteiligter möglichst viel an Zeit und Kraft gespart. Davon sollten für die wichtigen Zukunftsentscheidungen des Kirchenkreises Düsseldorf zwar so wenig wie möglich eingesetzt werden, aber so viel wie nötig. Das ist an der Zeit.

[1] https://www.evdus.de/fileadmin/user_upload/pdf/Synoden/Standortplanung.pdf (Abruf: 29.12.2015).

[2] Vorlage zu TOP 13.1 der Herbstsynode 2015 des Evangelischen Kirchenkreises Düsseldorf, 7.

[3] Ebd.

[4] Roloff, Jürgen: Die Apostelgeschichte [NTD 5], Göttingen 181988, 164.

[5] A.a.O., 165.

[6] A.a.O., 167.

[7] A.a.O., 165f.

[8] A.a.O., 166.

[9] exhistemi steht im Neuen Testament regelmäßig als Reaktion ungeheurer Erregung auf die Offenbarung göttlicher Herrlichkeit in den Wundern Jesu. In der Septuaginta ist es terminus technicus einer „psychischen Erregung des Schreckens, der Angst oder auch des Staunens“ (Oepke, Albrecht: Art. exhistemi. In: ThWNT II (21954), 456–457, 456).

[10] Damit ist nicht gesagt, dass der lukanischen Darstellung der Geschichte der jungen christlichen Gemeinde insgesamt und grundsätzlich Historizität attestiert wird. Lukas war ein antiker Historiker, der Material gesammelt, zusammengestellt, geordnet und sinnstiftend interpretiert hat. „Lukas gestaltet sein historisches Material mit Mitteln der Tragik, wie das dem Normalfall entsprach. (…) (Seinen) Lesern wollte er seine Deutung des gesammelten Materials geben, um zu zeigen, wie sich darin Gottes Plan realisiert“ (Wander, Bernd: Trennungsprozesse zwischen Frühem Christentum und Judentum im 1.Jh.n.Chr. Datierbare Abfolge zwischen der Hinrichtung Jesu und der Zerstörung des Jerusalemer Tempels [TANZ 16], Tübingen 21997, 49).

[11] Zur Bonsen, Matthias u. Maleh, Carole: Appreciative Inquiry (AI): der Weg zu Spitzenleistungen: eine Einführung für Anwender, Entscheider und Berater, Weinheim 22012, 24f.

[12] Siehe Cooperrider, David L.u. Sorensen, Peter F.: Appreciative Inquiry. Rethinking Human Organization Toward a Positive Theory of Change, Champaign 2000.

[13] Zur Bonsen, Matthias u. Maleh, Carole: Appreciative Inquiry (AI): der Weg zu Spitzenleistungen: eine Einführung für Anwender, Entscheider und Berater, Weinheim 22012, 20.

[14] Vgl. a.a.O., 34

[15] A.a.O., 18.

[16] Zu Leitbildern im Bereich von Kirche und Diakonie siehe Losch, Andreas: Profil gegen Profilverlust? Leitbilder der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege und diakonischer und caritativer Träger im Vergleich. In: Abschied von der konfessionellen Identität? Diakonie und Caritas in der Modernisierung des deutschen Sozialstaats seit den sechziger Jahren [Konfession und Gesellschaft 46], hg.v. Andreas Henkelmann, Traugott Jähnichen, Uwe Kaminsky u. Katharina Kutner, Stuttgart 2012, 341–358.

[17] Am Theodor-Fliedner-Gymnasium haben Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer und Eltern mit dieser Methode am evangelischen Profil der Schule gearbeitet. Eine Dokumentation der Ergebnisse findet sich unter http://www.evangelische-schulen-in-deutschland.de/images/Was_macht_unsere_Schule_evangelisch.pdf (Abruf: 29.12.2015).

[18] Siehe Anm. 2.


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