Predigt im Weihnachtsgottesdienst der Oberstufe am Theodor-Fliedner-Gymnasium
[Die Schüler*innen haben in einer Talkrunde eine Pfarrerin, eine atheistische Philosophieprofessorin, König Herodes und einen Hirten von den Feldern Bethlehems kontrovers die Frage diskutieren lassen, ob die Geburt Jesu die Träume der Menschen – damals wie heute – erfülle.]
Erfüllt die Geburt Jesu die Träume der Menschen? Oder genauer: Erfüllen sich durch die Geburt Jesu deine Träume? – Wovon träumst du diese Weihnachten? Was ist dein Herzenswunsch? Erwartest du, dass er sich zu Weihnachten erfüllt? Erwartest du, dass er sich durch Weihnachten erfüllt? – Hat Weihnachten, das Fest der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, etwas mit der Erfüllung deiner Träume und Herzenswünsche zu tun?
Ich habe in den letzten Jahren eine Weiterbildung zum systemischen Berater gemacht. Dabei habe ich gelernt, immer und vor allem nach Unterschieden zu fragen: Was ist an Weihnachten anders als sonst? Mehr noch: Was ist durch Weihnachten anders? Woran merkst du, dass Gott Mensch geworden ist? Was ist durch die Geburt Jesu in deinem Leben anders? Ähnliche Fragen wurden auch in Arthurs Talkrunde gestellt. Herodes dachte an Säcke voll Gold für sich selber oder neue Schafe für den Hirten. All das hat die Geburt Jesu offensichtlich nicht gebracht. Auch der Weltfriede hat sich offenbar noch nicht eingestellt. Gerechtigkeit sucht man leider meist vergeblich. Da braucht man nur die Nachrichten anzuschauen. Auch die ganz individuellen Sorgen und Ängste verschwinden an Weihnachten nicht so ohne Weiteres. In den Familien kommt es gerade über die Feiertage häufig zu Streit. Und es sind besonders die Feiertage, an denen uns die lieben Menschen, die gestorben sind, so schmerzlich fehlen. Wenn es danach geht, ist nichts anders geworden durch die Geburt Jesu.
Interessanter Weise kann man – bei genauerem Hinsehen – in der biblischen Weihnachtsgeschichte dann doch Unterschiede feststellen. Bei Josef zum Beispiel, dem schon etwas älteren Zimmermann. Der hat eine vierzehnjährige Verlobte, die Schwanger ist, obwohl sie über das Küssen noch nicht hinausgekommen sind. Dafür kann es nur eine Erklärung geben und es bleibt ihm nichts anders übrig als sie zu verlassen. – Das tut er aber nicht. Ganz im Gegenteil. Bei Nacht und Nebel macht er sich mit seiner kleinen Familie auf den Weg, um dem Kindermord von Bethlehem zu entgehen. Oder die Weisen aus dem Morgenland. Denen hatte Herodes befohlen, ihm den Aufenthaltsort des neugeborenen Messias zu melden, damit er ihn töten kann. – Das tun sie aber nicht. Die Bibel betont, dass sie einen anderen Weg zurück in ihre Heimat wählen, um Herodes Leuten zu entkommen. Am deutlichsten ist es aber bei den Hirten. Das ist vorhin in der Talkrunde schon angeklungen. Die Hirten kehren nach ihrem Besuch im Stall von Bethlehem nicht zu ihren Herden zurück. Sie machen sich auf den Weg, um weiterzuerzählen, was sie gehört und gesehen haben. Hier ist die einzige Stelle, an der in der Bibel im Zusammenhang mit der Geburt Jesu das Wort Wunder vorkommt. Die Menschen wunderten sich über die Hirten. Sie wundern sich darüber, dass diese unscheinbaren Gestalten, die niemand so wirklich ernst und wichtig nimmt, dass die plötzlich davon überzeugt sind, dass eine große Veränderung stattgefunden hat, die alle Menschen betreffen wird. Das Wunder besteht in der Veränderung der Hirten. Hier ist der Unterschied. Das, was anders geworden ist durch die Geburt Jesu.
Ist halt die Bibel, kann man jetzt sagen. Aber was ist mit uns? Heute! Was ist mit unseren Wünschen und Träumen an und zu Weihnachten? Da gibt es einfach keine Unterschiede! – Gibt es nicht? – Wenn es schwer ist Unterschiede wahrzunehmen oder sich Unterschiede überhaupt nur vorzustellen, dann wird in der systemischen Beratung häufig die sogenannte Wunderfrage genutzt. Wir können das zusammen ausprobieren. Schließt eure Augen. Stellt euch vor, es ist der Tag vor Weihnachten. Es ist schon spät und du legst dich schlafen. Du bist so müde, dass du sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf fällst. Mitten in der Nacht geschieht das Wunder: Gott wird Mensch. – Kommt in dein Leben. – Tritt an deine Seite. – Nimmt dich in den Arm. – Zeigt dir den Weg. Am Morgen wachst du auf. Du hast so tief geschlafen, dass du das Wunder nicht bemerkt hast. Du stehst auf und der Weihnachtstag beginnt.
Woran wirst du erkennen, dass das Wunder geschehen ist? Wer von deiner Familie, von deinen Freunden wird zuerst bemerken, dass du dich verändert hast? Woran wird man es erkennen? Vielleicht daran, dass du dem Familienstreit begegnest, indem du Frieden machst – zuerst mit dir selbst und deinen Erwartungen. Und dann und damit auch mit den anderen. Vielleicht daran, dass du dich mit Tränen in den Augen an die lieben Verstorbenen erinnerst. Und irgendwann lächeln musst, weil du dich an so viel Gutes erinnerst, wofür du dankbar bist. Vielleicht daran, dass du aufgehört hast deine Sorgen und Ängste zu verdrängen, sondern zu deinen Gefühlen stehst und sie mit anderen teilst. Und dabei erlebst wie die Welt plötzlich weiter wird und Hoffnung wächst. Vielleicht daran, dass du auch und gerade an Weihnachten mutig und entschlossen auch die schlimmen Nachrichten aus der Welt und über die Welt hörst. Und ihnen die gute Nachricht von Bethlehem entgegensetzt. Vielleicht fällt dir noch mehr ein…
Im Reli-LK haben wir viel darüber gesprochen, dass Gottes neue Welt nicht einfach plötzlich vom Himmel fällt. Sie ist noch nicht da und gleichzeitig doch schon da. Sie beginnt mitten unter uns, wo wir jetzt so leben, als gäbe es sie schon. Denn da, wo wir so leben, da gibt es sie, das werden wir in sie hineingezogen.
Erfüllt die Geburt Jesu die Träume der Menschen? Oder genauer: Erfüllen sich durch die Geburt Jesu deine Träume? Wovon träumst du diese Weihnachten? – Tommaso Campanella soll gesagt haben: „Träume nicht dein Leben. Lebe deinen Traum.“ Ich halte das für einen weisen Rat. Er lässt sich auch auf unseren Predigttext anwenden:
Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter;
und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst;
auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich,
dass er’s stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.Jesaja 9,1.5–6
Die Botschaft an Weihnachten lautet: Träume nicht dein Leben. Lebe diesen Traum!
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