Es ist relativ dunkel und es fällt Schnee. Gegen halb elf am Samstagmorgen betrete ich das Museum. Durch das barocke Kollegienhaus erreicht man den eigentlichen Eingang zur Ausstellung, den „Void“ – die Leerstelle. Die schwarze Treppe führt unter das Fundament. „Beetween the Lines“ hat Daniel Libeskind seinen Bau genannt:

Es ist ein Projekt, in dem es um zwei Linien des Denkens, der Organisation und der Beziehung geht. Die eine gerade, aber in viele Fragmente zersplitterte Linie, die andere eine sich windende, die aber unendlich weitergeht. (…) Es gibt drei unterirdische „Straßen“, die programmatisch drei verschiedene Geschichten haben. Die erste und längste Straße führt zur Haupttreppe, zur Fortsetzung von Berlins Geschichte und zu den Ausstellungsräumen im Jüdischen Museum. Die zweite Straße führt nach außen in den Garten des Exils und repräsentiert das Exil und die Emigration von Juden aus Deutschland. Die dritte Achse führt in die Sackgasse, das tote Ende: den „Holocaust-Turm“.

(Daniel Libeskind: Jüdisches Museum Berlin, Barcelona 2011, 71–73)

Im „Holocaust-Turm“ ist es eiskalt und es fällt nur wenig Licht durch den Schlitz unterhalb der Decke. Die Tür fällt ins Schloss und ich bin alleine. Ganz langsam gehe ich in den spitz zulaufenden Teil des Turms. Mit jedem Schritt kommen die kalten Wände näher, schwindet das wenige Licht, nimmt die Beklemmung zu. Das „tote Ende“ ist unerträglich.

Nach über zwei Stunden im Museum merke ich, dass meine Gedanken die Sprache gewechselt haben. Die Überlegungen, Fragen und Kommentare in mir – ich bin allein und spreche mit niemandem – nehmen in Englisch Form an. Vielleicht ist es Imitation, weil alle Erläuterungen auch in Englisch zu lesen sind. Vielleicht ist es aber auch ein Stück Distanz und Schutz, ein inneres Zurückweichen vor der Unerträglichkeit dieses Teils der deutschen Geschichte. Innere Emigration.