Impuls aus der Frühschicht am Theodor-Fliedner-Gymnasium
Wie sind die Bücher in Ihren Bücherregalen geordnet und sortiert? – Gar nicht? Nach Fachgebieten? Nach Genres? Nach der Größe? Oder nach Farben? – Es gibt viele Möglichkeiten Bücher anzuordnen. Von einer ganz besonderen Art habe ich in Wolfram Eilenbergers Buch „Zeit der Zauberer“ gelesen:
Die Rede ist von der Bibliothek des Abraham („Aby“) Moritz Warburg, die [der Philosoph Ernst] Cassirer im Winter des Jahres 1920 zum ersten Mal betritt und die für die folgenden zehn Jahre zum eigentlichen Inspirationsort seines Schaffens wird. […] Der überwältigende Reichtum an Forschungsliteratur sowie die schatzhafte Seltenheit der sorgsam aus aller Welt akquirierten Exemplare war das eine. Das eigentliche Wunder aber besteht für [Ernst] Cassirer in der Idee dieser Bibliothek selbst, in der offenbaren geistigen Zielsetzung, mit der sie zusammengestellt und geordnet ist. Weder nach Alphabet noch Jahreszahl nämlich fügt sich hier ein Band an den anderen, vielmehr ließ Warburg die Bücher nach einem eigens ersonnenen System der sogenannten „guten Nachbarschaft“ sortieren. Diesem System lag nun wiederum ein eigenes Forschungsprogramm zugrunde, was menschliche Kultur eigentlich ist, was sie wesentlich auszeichnet und welche Dynamiken ihre Entwicklung in den letzten Jahrtausenden wesentlich bestimmten. […] Ihm folgend werden Werke aus verschiedensten Disziplinen und Epochen so nebeneinandergestellt, dass sie dem suchenden Forscher noch kaum bedachte Verhältnisse möglicher Verwandtschaft, Zugangsähnlichkeit und auch der kreativen Beeinflussung nahelegen. […] Wie wohl eine Welt aussähe, in der […] [die Menschen] über alle fest scheinenden Grenzen erlernten Abneigungen und Differenzen hinweg so nebeneinanderstehen könnten wie die Bücher in Warburgs Bibliothek?
(Wolfram Eilenberger: Zeit der Zauberer. Das große Jahrzehnt der Philosophie. 1919–1929, Stuttgart 2018, 150–154)
Diese Passage aus „Zeit der Zauberer“ ist mir wieder eingefallen, als mein Leistungskurs sich im Rahmen der Ausstellung „Martin Luther King jr. @ Berlin 1964“ mit Rassismus und Diskriminierung damals und heute beschäftigt hat. Nicht nur Bücher kann man auf ganz unterschiedliche Weise ordnen und sortieren. Auch Menschen werden von uns – bewusst oder unbewusst – in bestimmte Kategorien einsortiert. Je nach Kategorie und Kontext bedeutet das für die Betroffenen eine massive Diskriminierung. Das gilt für alle Bereiche unseres Lebens und macht auch vor unserer Schule nicht halt, wie Schüler*innen-Interviews in der Ausstellung gezeigt haben. Was können wir dagegen tun?
Der Werbespot des dänischen Fernsehsenders TV2 gibt einen Hinweis:
Was wir gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung tun können? – Umsortieren. Nicht Hautfarbe, Nationalität, Religion, Herkunft, sexuelle Orientierung, oder Ähnliches darf darüber bestimmen, wie nah oder fern Menschen einander stehen. Sondern, was sie miteinander verbindet.
Jesus hat Frieden gestiftet. Er hat die getrennten Teile der Menschheit mit sich verbunden und daraus den einen neuen Menschen geschaffen. Ihr Menschen aus den anderen Völkern seid also nicht länger Fremde und Gäste. Ihr habt Bürgerrecht im Himmel zusammen mit den Heiligen, ihr seid Gottes Hausgenossen.
(Epheser 2,15b.19)
Nach dieser „guten Nachbarschaft“ haben wir als Christinnen und Christen Menschen einzuordnen. „Wie wohl eine Welt aussähe, in der […] [die Menschen] über alle fest scheinenden Grenzen erlernten Abneigungen und Differenzen hinweg […] [in guter Nachbarschaft] nebeneinanderstehen könnten wie die Bücher in Warburgs Bibliothek?“ Lasst es uns herausfinden. Lasst uns umsortieren. Unsere eigenen Köpfe und Herzen zuerst. Auf dass andere dadurch aufmerksam werden und sich diese neue Ordnung der „guten Nachbarschaft“ bei uns abschauen, weil wir in Jesus Christus alle Gottes Hausgenossen und damit Nachbarn sind.
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