Das Leben steigen lassen
Die Fäden fest in der Hand halten
Leine geben und Leine einholen
Kurven fliegen und Loopings schlagen
Widerstand spüren
Einen Augenblick mitlaufen
Gezogen werden
Loslassen können

(Tina Cramer)

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Der Herbst ist für mich eine besondere Zeit,
vor allem dann, wenn er mit einem Wetter wie gestern daher kommt.
Die Kälte des Morgens lässt mich ahnen,
dass der Sommer seine Zeit gehabt hat
und der Winter seine Zeit bekommen wird.
Die Wärme des Mittags lässt mich Energie und Kraft tanken
für die kühle Zeit, die kommt.
Das besondere Licht lässt die Farben leuchten,
mit denen sich die Blätter an den Bäumen verabschieden für dieses Jahr.
Ich spüre die Veränderung.
Alles hat seine Zeit.
Das Kommen und das Gehen gehören zum Leben.

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Ich mag auch den Wind im Herbst.
Besonders am Meer genieße ich seine Kraft,
die mir den Rücken stärkt, wenn ich mit dem Wind unterwegs bin,
oder sich mir in den Weg stellt, wenn ich entgegen den Wind laufe.
Meine Kinder mögen vor allem das Drachen steigen lassen:
Den aufregenden Start.
Die Kraft mit der der Drache an der Leine zieht.
Die lustigen Kurven und Loopings, die man drehen kann,
bis ganz dicht über den Boden.
Bis der Drache dann abstürzt und wieder neu gestartet werden muss.
Schon beim Zuschauen spüre ich die Kraft
und die Lebendigkeit des Drachens im Wind.
Alles hat seine Zeit.
Das Auf und Ab gehört zum Leben.

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Der Wind ist in der Sprache der Bibel
viel mehr als ein Naturphänomen.
Wind – pneuma – das ist auch der Lebensatem,
den Gott dem Adam eingehaucht hat
am Anfang der Zeiten,
damit er lebendig wurde.
Wind – pneuma – das ist auch der Hauch,
den Gott in der Vision des Propheten Ezechiel
über das Totenfeld wehen lässt,
damit die Verstorbenen neues Leben haben.
Wind – pneuma – das ist auch der Geist,
der uns befreit.
Der kindliche Geist,
der uns rufen lässt: Abba, lieber Vater.
Der Geist Gottes,
der uns zu seinen Kindern macht:
Lebendig und frei,
zuversichtlich und gelassen.
„Welche der Geist Gottes treibt,
die sind Gottes Kinder“,
heißt es bei Paulus im Römerbrief.
Lassen wir uns
von Geist Gottes treiben,
dem Wind im Herbst,
dem Atem des Lebens,
dem Hauch der Unsterblichkeit.

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Das ist doch ein guter Plan für diesen Herbst:

Als Kinder Gottes
das Leben steigen lassen
Die Fäden fest in der Hand halten
Leine geben und Leine einholen
Kurven fliegen und Loopings schlagen
Widerstand spüren
Einen Augenblick mitlaufen
Gezogen werden
Loslassen können