Predigt in der Osternacht 2016 in Kaiserswerth
Dunkel ist die Welt geworden,
als du um die sechste Stunde,
Herr, das harte Kreuz bestiegst.1
Mit diesen Worten begann der Hymnus der Laudes, das Eingangslied des Morgengebets der Kirche, am vergangenen Dienstag. Ich habe es in der Frühe gesungen, ohne besondere innere Beteiligung. Theologisch versiert habe ich den Text eingeordnet in die Woche vor Ostern. Er meint natürlich die sechste Stunde am Freitag, dem Karfreitag, die Stunde der Kreuzigung. Erst als an diesem Dienstag um kurz nach acht die ersten Nachrichten aus Brüssel kamen, wurde mir bewusst, was ich da in der Frühe eigentlich gesungen hatte.
Dunkel ist die Welt geworden,
als um die dritte Stunde
in Brüssel Attentäter Sprengsätze zündeten,
31 Menschen töteten und 300 verletzten.
Dunkel ist die Welt geworden,
als von der AfD-Chefin zu hören war,
dass „der Traum vom bunten Europa (…) kaputt (ist), weggebombt“
und es deshalb „Zeit (ist) für Veränderungen“.
Dunkel ist die Welt geworden,
als die AfD bei den Landtagswahlen zwischen
12,6 und 24,2 Prozent der Stimmen bekam
und im DeutschlandTrend von Donnerstag 13 Prozent erreichte.
Dunkel ist die Welt geworden,
wo durchaus berechtigte Ängste vor sozialem Abstieg
mit rassistischen Argumentationsmustern verbunden werden,
so dass Abschottung und menschenverachtende Härte
zu einer Alternative für Deutschland und Europa wird.
Ja, dunkel ist die Welt geworden,
so dass du um die dritte Stunde,
Herr, das harte Kreuz bestiegst.
Im Dunkeln sind wir heute zusammengekommen. Ohne dass die Glocken läuteten, ohne dass die Orgel erklang. Die Osternacht begann mit Schweigen angesichts des Dunkels in der Welt. Doch es blieb nicht stumm. In der Osternacht führt das Schweigen zum Hören, das Hören zum Beten und das Beten zum Loben und Singen. In der Osternacht finden wir Orientierung im Dunkeln. Orientierung in Raum und Zeit.
Orient-tierung – Die Ausrichtung zum ‚Orient’, nach Osten hin, dem Morgenland, aus dem nach dem Dunkel der Nacht das Licht der Sonne erwartet wird.2 Orientierung – Die Ausrichtung auf das Licht des Ostermorgens und die Herrlichkeit des Auferstandenen, der auf Dauer keine Dunkelheit standhält. Davon spricht auch der Predigttext für die Osternacht:
Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so sucht, was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf Erden ist. Denn ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit Christus in Gott. Wenn aber Christus, euer Leben, sich offenbaren wird, dann werdet ihr auch offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit. (Kol 3,1–4)
„Es gibt einen Text, der die Auferstehung Jesu sehr fantasievoll beschreibt. Der runde Stein, der sein Grab verschlossen hat, rollt von selbst zur Seite. Zwei leuchtend helle Männer, die kurz zuvor vom Himmel herabgestiegen sind, holen den ins Leben Zurückkehrenden aus dem Grab ab. Sie stützen ihn beim Herausgehen. Hinter der Gruppe folgt eigenständig ein Kreuz. Die drei sind übermenschlich groß, doch der Auferstandene in der Mitte überragt die beiden Helfer dramatisch. Sein Kopf reicht über den Himmel hinaus. Die Quelle dieses Textes (ist) das (sogenannte) Evangelium des Petrus. Es wurde vermutlich erst 120 Jahre nach dem Tod Jesu verfasst. Die Kirche hat dieses Evangelium nie als kanonisch, als offiziell, anerkannt. Es war ihr wohl zu fantasievoll und bemühte sich allzu drastisch darum, mit erfundenen Einzelheiten die Auferstehung zu beweisen.“3 Mich hat diese Darstellung von der Auferweckung Jesu in diesem Jahr sehr angesprochen – wegen ihrer auffälligen Spannungen.
Jesus, der Auferweckte muss gestützt werden auf seinem Weg heraus aus dem Grab. Die Macht des Todes hat hin geschwächt, das Kreuz kann er nicht so leicht abschütteln. Es ist noch da, aber jetzt folgt es ihm und nicht umgekehrt. Jesus, der Auferweckte, ist noch schwach, aber er ist unübersehbar lebendig! Denn der Auferweckte ist hier riesengroß. Sein Kopf reicht über den Himmel hinaus. Das neue Leben des Auferweckten kennt offenbar keine irdischen Grenzen, es reicht bis in den Himmel und darüber hinaus, und bleibt doch mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Hier gibt es keine Himmelfahrt. Jesus, der Auferweckte, verbindet Himmel und Erde, oben und unten, Gott und Mensch.
Die fantasievoll ausgestaltete Darstellung der Auferweckung Jesu ist vielleicht sogar ein Echo unseres Predigttextes. „IHR“ und „MIT“ sind die entscheidenden Stichworte: IHR seid MIT CHRISTUS auferstanden. EUER Leben ist MIT CHRISTUS in Gott ver- und damit geborgen. IHR werdet MIT IHM offenbar werden in Herrlichkeit. Das heißt doch: Hier geht es nicht um Jesus als VOR-Bild. Hier geht es auch nicht um uns als Jesu NACH-Folger. Hier geht es um UNSER MIT-Erleben der Auferweckung Jesu und um UNSEREN AN-Teil an seiner Herrlichkeit. – Das hat Folgen!
Als MIT-CHRISTUS-AUFERWECKTE sind wir so voller Leben, dass die Erfahrung des Todes uns zwar vorübergehend erschrecken und schwächen kann, der Tod aber keine Macht mehr über uns hat. Als MIT-CHRISTUS-AUFERWECKTE sind wir so voller Leben, dass wir uns – mit beiden Beinen fest auf der Erde – den Herausforderungen diese Zeit und dieser Welt mutig und zuversichtlich stellen. Als MIT-CHRISTUS-AUFERWECKTE sind wir so voller Leben, dass wir – mit Kopf und Herz im Himmel – bedingungslos an Menschlichkeit und Liebe als Maßstab festhalten, weil es dazu für Deutschland, Europa und die Welt keine Alternative gibt. Als MIT-CHRISTUS-AUFERWECKTE finden wir Orientierung im Dunkeln, in der Ausrichtung auf das Licht des Ostermorgens und die Herrlichkeit des Auferstandenen, der auf Dauer keine Dunkelheit standhält.
Dunkel ist die Welt geworden,
als du um die sechste Stunde,
Herr, das harte Kreuz bestiegst.Schenk uns Licht von deinem Lichte,
wenn wir selbst in diesem Dunkel
mühsam deine Wege gehn.Schenk uns Kraft aus deiner Gnade,
die dein (Sieg) uns (hat) erworben,
dass wir immer zu dir stehn.4
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