Laut Statistik haben in der Evangelischen Kirche im Rheinland im Jahr 2010 insgesamt 115.151 Gottesdienste stattgefunden. 37.708 davon wurden an Werktagen gefeiert, wiederum 20.470 davon waren Schulgottesdienste. Schulgottesdienste machen demnach 18% der Gesamtzahl der Gottesdienste aus und 54% der Gottesdienste an Werktagen. Bernd Schröder, Professor für Religionspädagogik der Universität Göttingen, nennt den Schulgottesdienst dennoch ein „vernachlässigtes liturgisches Handlungsfeld“[1]. Den hohen Veranstaltungszahlen und der großen Zahl der Kinder und Jugendlichen, die durch die Schulgottesdienste erreicht werden, stehen „veränderte Rahmenbedingungen, Akzeptanz- und Konzeptionsprobleme“[2] gegenüber. Für Düsseldorf ist das leicht nachvollziehbar: Wenn sich im Rahmen des Reformprozesses zukunft kirche durch Kooperationen und Fusionen die Kirchengemeinden neu aufstellen, Bezirksgrenzen neu gezogen, Arbeitsschwerpunkte der Pfarrerinnen und Pfarrer neu eingeteilt und (Kirchen-)Gebäude aufgegeben werden, dann hat das auch Auswirkungen auf den Schulgottesdienst. Nicht immer haben Presbyterien die damit zusammenhängenden Fragen im Blick: Lassen sich Kirchen oder Gemeindehäuser von den Schulen aus noch fußläufig erreichen? Haben Pfarrerinnen und Pfarrer in ihren Dienstanweisungen, vor allem aber in ihren Terminkalendern ausreichend Zeit für den Kontakt zu den Schulen (z.B. im Rahmen der Kontaktstunde) und die Vorbereitung bzw. Durchführung der Schulgottesdienste? Stehen für den Schulgottesdienst Kirchenmusiker/innen zur Verfügung? Gibt es Verknüpfungen mit anderen Angeboten der Gemeinde, wie z.B. der Kinder- und Jugendarbeit oder der Konfirmandenarbeit? Gewiss können in Folge zurückgehender personeller und finanzieller Ressourcen nicht mehr alle Anforderungen optimal erfüllt werden. Im Blick auf den Schulgottesdienst lohnt es sich aber, darüber intensiv nachzudenken und – vielleicht mit Hilfe des Ev. Schulreferats – eigene kreative Lösungen zu finden.
Denn Schulgottesdienste haben hohes religionspädagogisches Potential. Den Schülerinnen und Schülern bieten sie ein zielgruppengerechtes Angebot religiöser Erfahrung, das zu einem großen Teil von ihnen selber geplant, vorbereitet und gestaltet wird. Schulgottesdienste gehen von den Themen und Fragen der Schülerinnen und Schüler aus, leben von ihren musikalischen, poetischen und dramaturgischen Kompetenzen, bilden eine Gemeinschaft, die über persönliche Freundschaften und Klassenzusammenhänge hinausreicht, bringen das Evangelium als bestärkende und herausfordernde Größe ins Spiel und stellen die Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen mit allen Höhen und Tiefen unter den Segen Gottes. Schule als Kontext von Gottesdienst ist deshalb so bedeutsam, weil sie ein besonderer Ort in der Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern ist. Als Lernort und Lebensraum verbringen sie dort viel Zeit und machen prägende Erfahrungen. Die Schule ist damit ein „lebensweltlich relevanter Ort“, an dem „Menschen innerhalb und außerhalb der eigenen Kirche eine Chance zur gottesdienstlichen Partizipation dadurch ermöglich[t wird], dass sie verstehen, was sie da wollen und erwarten dürfen“ und zur Mitgestaltung motiviert werden.[3] Es gibt eine Menge Möglichkeiten, um dieses Potential auszuschöpfen: Andachten im Schulalltag, Gottesdienste zu den hohen kirchlichen Feiertagen, die gottesdienstliche Begleitung wichtiger Übergänge in der Schullaufbahn (Einschulung, Schulwechsel, Schulabschluss), biblische Impulse und Andachten zu den ‚Feiertagen’ und Höhepunkten des Schullebens (z.B. Kollegiumsandacht zum Schuljahresbeginn, biblischer Impuls zur Eröffnung des Schulfestes, Sendungsandacht zum Charity-Walk, Sendungsgottesdienst zum Schüleraustausch), Andachten zu aktuellen Ereignissen, die Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer in besonderer Weise bewegen (z.B. Tod eines Schülers oder Lehrers, Fürbitte für die Opfer von Terror, Krieg und Katastrophen), Elterngottesdienste und Vieles mehr.[4]
Die Beispiele zeigen, dass Schulgottesdienste sich grundsätzlich an alle Menschen richten, die mit der Schule zu tun haben: Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, andere Mitarbeitende und die Eltern. Sie haben nicht nur Bedeutung für jeden einzelnen von ihnen, sondern auch für die Schule als Ganzes. Sie tragen dazu bei, die Schule zu einem menschenfreundlichen Lern- und Lebensraum zu machen. Das ist umso wichtiger, als der Unterricht immer weiter in den Nachmittag hineinreicht und die Schulen zu Ganztagsschulen werden. Hier können Kirchengemeinden einsteigen und sich engagieren. Sicher ist nicht alles Genannte an jeder Schule und in jeder Kirchengemeinde möglich. Aber es lohnt sich die Potentiale des Schulgottesdienstes auszuloten und an der einen oder anderen Stelle mutig neue Schritte zu wagen.
[1] Bernd Schröder, Schulgottesdienst – ein vernachlässigtes liturgisches Handlungsfeld in multiperspektivischer Betrachtung, in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 38 (1999), 99–124, 99.
[2] A.a.O., 100.
[3] Fermor, Gotthard, Fair play – Gottesdienst und Milieutheorie. Kritische Würdigung der Handreichung „…zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn…“ (Ps 27,4) zur Qualitätsentwicklung von Gottesdienst und Kirchenmusik, in: Thema: Gottesdienst 31 (2010), 43-52, 49.
[4] Für Praxisbeispiele siehe Flüchter, Sascha, Heute: Schulgottesdienst. Gottesdienste, Andachten und biblische Impulse für die Sekundarstufen (Dienst am Wort 145), Göttingen 2012.
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