Predigt in der Frühschicht im Advent am Theodor-Fliedner-Gymnasium

 

Für mich ist das eines der schönsten Adventslieder. Und es ist schon sehr alt. Die Strophen, die wir gerade gehört haben, gehen wahrscheinlich auf den Mystiker Johannes Tauler zurück und stammen aus dem 14. Jahrhundert.

Es kommt ein Schiff, geladen
bis an sein hösten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
des Vaters ewigs Wort.

Die Schiffsmetapher ist im Zusammenhang mit Advent und Weihnachten ungewöhnlich. „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“ – Das ist uns geläufig. Aber ein Schiff, dass den Sohn Gottes bringt? Es ist wohl ein altes Marienlied. Das Schiff steht für die schwangere Maria, die ein Kind unter ihrem Herzen trägt, das etwas ganz Besonderes ist, der Sohn Gottes, das fleischgewordene Wort Gottes. Mich spricht das Lied vor allem deshalb an, weil es eine große Ruhe verströmt – wie ein Segelschiff, dass lautlos durch die Wogen des Meeres gleitet:

Das Schiff geht still im Triebe,
es trägt ein teure Last;
das Segel ist die Liebe,
der Heilig Geist der Mast.

Gleichzeitig ist das in der Ruhe dieses Liedes eine enorme Kraft. Eine Bewegung, die nicht aufzuhalten ist. Der Wind, der das Segel der Liebe aufbläht, das vom Heiligen Geist gehalten wird. Die Fahrt ist ruhig, aber bestimmt. Sie lässt sich nicht mehr aufhalten. Das Schiff wird seine teure Last ans Ziel bringen, so viel ist sicher!

Zu Bethlehem geboren
im Stall ein Kindelein,
gibt sich für uns verloren;
gelobet muss es sein.

Ich höre dieses Lied deshalb so gerne im Advent, weil ich gerade jetzt diese Kombination von Ruhe und Kraft wünsche. Ruhe, um in der Dunkelheit zu sitzen und das Licht der Kerzen am Adventskranz bewusst wahrzunehmen. Jede Woche eines mehr… – Ruhe, um in mich hineinzuhören und zu fühlen. Was in mir ist, was in mir fehlt, was in mir wächst… Ruhe. Und Kraft, um verschüttete Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume frei zu legen und ihnen Platz einzuräumen. – Kraft, um aus Gedanken und Gefühlen Worte werden zu lassen und Taten. – Kraft, um das Segel der Liebe wieder neu auszurichten, damit mein Leben Fahrt aufnimmt im Advent!

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„Es kommt ein Schiff, geladen“ ist für mich eines der schönsten Adventslieder. In diesem Jahr kann ich das Lied aber nicht hören, ohne dass sich andere Bilder von Wellen, Meer und Schiffen in meinen Gedanken einfallen. Schlauchboote mit Geflüchteten auf dem Mittelmeer, die zu kentern drohen. Männer, Frauen und Kinder, die ins Wasser fallen und ertrinken. Mehr als 19.000 Menschen sind seit 2014 im Mittelmeer ertrunken.[1] Eine humanitäre Katastrophe.

Die erste Jugendsynode unserer Evangelischen Kirche im Rheinland hat im Januar die Landessynode aufgefordert, sich an einem neuen Rettungsschiff zu beteiligen, um angesichts des Stillstands auf europäischer Ebene schlicht Menschenleben zu retten. Die Landessynode hat diesen Beschluss gefasst und die Evangelische Kirche im Rheinland beteiligt sich mit 100.000 Euro am zivilgesellschaftlichen Bündnis „United4Rescue – Gemeinsam retten“, das die zivile Seenotrettung mit einem neuen Rettungsschiff unterstützen will.

Die Reaktionen auf diese Nachricht konnten unterschiedlicher nicht sein. Es gab Menschen, die das zum Anlass genommen haben, aus der evangelischen Kirche auszutreten. Und es gab solche, die gesagt habe, das wäre für sie ein Grund doch wieder in die evangelische Kirche einzutreten. Es gibt in der Frage der Flüchtlingspolitik sicher vieles zu diskutieren. Auch in der ethischen Debatte kann man fragen, was das verantwortungsethisch bedeutet. Es ist auch nicht verboten, zu diskutieren, wie weit der Auftrag der Kirchen reich, sich in solchen ethischen und politischen Fragen zu positionieren. Eines aber ist m.E. fraglos richtig: Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Und zwar unter allen Umständen. „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“[2]

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Es kommt ein Schiff, geladen
bis an sein hösten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
des Vaters ewigs Wort.

Das Schiff geht still im Triebe,
es trägt ein teure Last;
das Segel ist die Liebe,
der Heilig Geist der Mast.

Zu Bethlehem geboren
im Stall ein Kindelein,
gibt sich für uns verloren;
gelobet muss es sein.

Wenn die Schiffsmetapher Sinn machen soll in diesem Advent, wenn die Botschaft vom Kommen Gottes in diese Welt bei uns Ruhe und Kraft entfalten soll, dann muss das Adventsschiff – auch – ein Rettungsschiff sein. Deshalb unterstütze ich die Initative #wirschickeneinschiff und lade Euch und Sie dazu ein, es auch zu tun. Durch eine Spende für „United4Rescue – Gemeinsam retten e.V.“, als Fördermitglied des Bündnisses oder durch ein Bekenntnis in den sozialen Medien. Die Papierschiffe, die wir vorbereitet haben, sind das Symbol der Initiative #wirschickeneinschiff. Ein Foto mit einem solchen Schiff in den sozialen Medien, auf Facebook, Instagram, Snapchat, oder sonst wo, macht deutlich, dass ihr dazu steht, dass die Evangelische Kirche zusammen mit anderen ein Schiff schickt, um Ertrinkende zu retten.

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Es ist Advent. ES KOMMT EIN SCHIFF, GELANDEN. Lasst uns das Segel der Liebe setzten!

#wirschickeneinschiff

 


[1] https://presse.ekir.de/presse/0B202D35A2F14A96AB9A4E964C8F32F7/100-000-euro-fuer-ein-rettungsschiff-und-kollekten-gegen-not-in-fluechtlingslagern (Abruf: 11.12.2019).

[2] https://www.kirchentag.de/aktuell_2019/sonntag/predigt/ (Abruf: 11.12.2019).