Predigt im Reformationsgottesdienst 2025 am Amos-Comenius-Gymnasium Bonn
Angst essen Seele auf.
So heißt ein Film aus dem Jahr 1974. Ein Film über Fremdenfeindlichkeit, Hass und Ausgrenzung in Deutschland. Und es ist zugleich eine Liebesgeschichte zwischen Emmi und Ali, die ein Altersunterschied von mindestens zwanzig Jahren trennt. Es gib in diesem Film einen Dialog, in dem Ali Emmi fragt, warum sie weine. Emmi antwortet: „Weil ich so glücklich bin, und weil ich solche Angst habe!“ Ali erwidert daraufhin: „Angst nix gut. Angst essen Seele auf!“ – Da hat Ali recht. Angst hat das Potenzial unsere Seele aufzufressen. Und das ist überhaupt nicht gut!
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Natürlich gibt es auch Situationen, in denen Angst gut und hilfreich ist. Wenn wir uns in gefährlichen Situationen befinden, dann warnt uns die Angst und wir haben die Möglichkeit etwas zu unternehmen. Ein paar der Ängste auf den Bildern könnten in diese Kategorie gehören. Eine giftige Schlange oder Spinne anzufassen, ist einfach keine gute Idee. Die Angst vor Schlangen und Spinnen, macht uns vorsichtig mit diesen Tieren. Auch wenn die meisten bei uns ja völlig harmlos sind. Gleiches gilt für die Angst vor Höhe. An einem Abgrund herum zu turnen, um ein möglichst eindrückliches Foto für Insta zu bekommen, ist keine gute Idee. Die Angst vor große Höhe warnt uns bei solchen Abenteuern und macht uns im besten Falle vorsichtig.
Die allermeisten der Ängste auf den Bildern sind aber kaum als gut und hilfreich zu bezeichnen. Die Angst vor Gewalt und Krieg, schweren Krankheiten, dem Tod lieber Menschen; die Angst davor nicht gut genug zu sein, die Anforderungen nicht erfüllen zu können, die andere oder wir selber an uns stellen, die Angst, die Situation nicht unter Kontrolle zu haben und nichts tun zu können. Das sind Ängste, die unsere Seele auffressen. Denn sie führen nicht zur Vorsicht und zur Aktion, sondern zur Hilflosigkeit und zum Erstarren. Sie verhindern, dass wir uns stark und selbstwirksam erleben. Sie verhindern, dass wir mit anderen gut im Kontakt sind und gemeinsam stark werden. Sie verhindern, dass wir uns engagieren und notfalls auch kämpfen für das, was uns wichtig ist. Solche Angst ist überhaupt nicht gut!
Dafür ist sie sehr verbreitet. Ich verrate Euch ein Geheimnis. Die Ängste, die ihr in den Bildern dargestellt habt, die haben auch die allmeisten Erwachsenen. Die haben auch eure Lehrerinnen und Lehrer. Die haben auch eure Eltern. Die haben auch eure Nachbarn. Die haben fast alle. Ich auch. Die Erwachsenen geben das nur nicht zu. Sie reden so gut wie nie darüber. Angst zu haben ist eines der größten Tabu-Themen in unserer Gesellschaft. Angst ist ein Tabu. Aber Angst ist keine Frage des Alters!
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Ebenfalls keine Frage des Alters ist der Mut, sich der Angst zu stellen. Davon haben wir in der Lesung vorhin gehört: Gott hat einen wichtigen Auftrag für Jeremia. Prophet für die Völker soll er werden. Doch Jeremia hält sich für zu jung und für zu unbegabt. Von dem hebräischen Wort, das er verwendet, könnte Jeremia tatsächlich noch ein Kind oder Jugendlicher sein. Vielleicht aber auch schon ein junger Mann. Das genaue Alter ist aus dem Text nicht zu bestimmen.
Wichtiger ist aber auch, wie Gott mit dem Einwand umgeht. Jeremias Jugend lässt er nicht gelten. Auch Jeremias möglicher Weise noch fehlenden rhetorischen Fähigkeiten lässt Gott nicht gelten. Worum es ihm geht, ist keine Frage des Alters. Jeremia hat schlicht und ergreifend Angst. Die Aufgabe ist groß. Die Herausforderung riesig. Zu Jeremias Zeiten belagerten die Truppen des babylonischen Königs Nebukadnezar Israel und es gelang ihnen schließlich das Land zu erobern, Jerusalem zu zerstören und die jüdische Oberschicht in die Gefangenschaft nach Babylon zu führen. Glaube, Hoffnung und Mut der Israeliten waren komplett am Boden. Was sollte Jeremia da ausrichten? Er kann doch nichts machen! – Das aber, sieht Gott anderes:
Bevor ich dich im Mutterleib geformt habe,
kannte ich dich.
Bevor du von deiner Mutter geboren wurdest,
warst du schon heilig für mich.
Zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt.(Jeremia 1,5)
Das heißt doch: Ich kenne dich. Ich kenne dich vielleicht sogar besser, als du dich selber kennst. Ich kenne deine Talente und Möglichkeiten. Ich kenne auch deine Fehler und Grenzen. Ich kenne deine Hoffnungen und Träume. Und ich kenne auch deine Unsicherheiten und Ängste. Und genau so wie du bist. Genau so bist du wichtig. Bist du wertvoll. Bist du mir heilig. Genau so brauche ich dich in dieser verrückten und beängstigenden Welt. Das sagte Gott vor Zeiten zu Jeremia. Das sagt Gott heute zu Dir: Ich kenne dich und ich brauche dich!
Und mehr noch:
Sag nicht, dass du zu jung bist,
sondern geh, wohin ich dich sende!
Und verkünde alles, was ich dir auftrage!(Jeremia 1,7)
Das heißt doch: Sorg dafür, dass du und alle anderen nicht mit ihrer Angst alleine bleiben. Denn die Angst dann besonders viel Macht über uns, wenn wir mit ihr und sie mit uns alleine ist. Brich das Tabu. Male Bilder von deinen Ängsten. Zeige sie anderen. Hole Dir Unterstützung bei der Schulseelsorge oder dem Beratungsteam. Mach dir klar: Du bist nicht alleine mit deiner Angst. Und auch die anderen sind nicht alleine mit ihren Ängsten. Dann können eure Ängste euch keine Angst mehr machen!
Das sagte Gott vor Zeiten zu Jeremia. Das sagt Gott heute zu Dir:
Fürchte dich nicht vor [deinen Ängsten],
denn ich bin mit dir und werde dich retten!(Jeremia 1,8)
Das heißt doch: Es wird weiter Dinge geben, die dir Angst machen. Es wird weiter Situationen geben, die du nicht unter Kontrolle hast und in denen du im Moment nichts tun kannst. Aber du wirst nicht alleine sein. Niemals. Das zu wissen wird dir Mut machen. Vielleicht wird er nicht riesig sein, dieser Mut. Aber groß genug. Dein Mut wird größer sein als deine Angst. Vielleicht ein winziges bisschen nur größer. Aber das reicht!
Das sagte Gott vor Zeiten zu Jeremia. Das sagt Gott heute zu dir: Angst und Mut sind keine Frage des Alters. Lass nicht zu, dass Angst deine Seele auffrisst. Du bist nicht alleine.
Fürchte dich nicht!