Predigt aus der Frühschicht vor den Herbstferien
Meine morgendliche Routine geht so: Nach dem Aufwachen gucke ich auf Facebook, was es so Neues gibt, lese ein paar E-Mails, öffne die Kalender-App, um eine Ahnung vom Tag zu bekommen. Dann wechsle ich rüber zu meinen Erinnerungen und lese mit halboffenen Augen ein paar Schlagzeilen im Netz. Bevor ich mich fertig mache für die Außenwelt, schaue ich noch schnell auf der Wetter-App, wie kalt es heute ist. Fährt die U-Bahn mal nicht oder anders, erfahre ich das meist erst, wenn es bzw. ich zu spät bin.
Das ist jetzt nicht mehr nötig. Neuerdings muss ich morgens nur noch eine App öffnen, um mir einen ersten Überblick zu verschaffen […]. »Morning« ist so eine Art persönlicher Assistent, der morgens an mein Bett tritt und mir ein kurzes Briefing verpasst: Am Abend haben Sie einen Essenstermin, das ist über Nacht passiert, vergessen Sie die Milch nicht und nehmen Sie Handschuhe mit, es wird kalt. […]
Wenn ich »Morning« öffne, erscheint ein blaues (wahlweise lila, grünes, rotes oder anderes) Dashboard. Die Daten sucht sich die App aus den Tiefen meines iPhones und dem Netz zusammen. Oben (das lässt sich beliebig umsortieren) stehen Datum, Tag und Uhrzeit, darunter finden sich Wetter, Erinnerungen und Schlagzeilen des Tages. Die Quellen dafür kann ich selbst bestimmen, bei mir sind es New York Times und Zeit Online (für den schnellen Überblick über beide Seiten des Atlantiks sozusagen). Bei Bedarf lässt sich noch ein Countdown einrichten, in meinem Leben ist es da aber gerade nicht spannend genug für.
Zugegeben: Das alles klingt nach einer eher unspektakulären App. Aber es sind ja bekanntlich oft die einfachen Ideen, die die größten Revolutionen anstoßen.[1]
Diese Worte sind nicht von mir. Aber sie könnten durchaus auch von mir sein. Ich habe mir jedenfalls damals – auf diesen Artikel hin – die Morning-App gekauft und installiert. Ich wollte auch einen so „aufgeräumten Morgen“ wie Thomas Schröder. Die App funktioniert übrigens prima: Ich werde – je nachdem wo mein Handy liegt – direkt nach oder noch vor dem Aufstehen klar und übersichtlich mit dem konfrontiert, was am Tag an Terminen und Aufgaben anliegt. Ich werde auf das Wetter vorbereitet und darüber informiert, was in der Nacht geschehen ist. Schon die ersten Gedanken des Tages richten sich auf die Zukunft mit dem, was heute bevorsteht, oder verharren in der Vergangenheit, bei dem was geschehen ist oder noch aussteht. Schnell stellen sich die entsprechenden Gefühle ein: Anspannung, manchmal Erwartung, oft aber eher Sorge und fast immer Hast und Eile.
Ein Morgenritual, das mich ruhig und zuversichtlich in den Tag starten lässt, ist das nicht gerade. In den Sommerferien habe ich mich deshalb nochmal intensiv mit Morgenritualen beschäftigt. Was brauche ich, um den Tag ruhig und konzentriert zu beginnen, ganz im hier und jetzt, dankbar für den neuen Tag und seine Möglichkeiten?
Zunächst einmal Zeit. Mein Wecker steht auf fünf Uhr, wenn ich zur ersten Stunde Unterricht habe. Sonst auf später, aber immer früh genug, dass durch mein Morgenritual nicht das Duschen oder Anziehen stressig wird, oder das Frühstück, oder das Verabschieden von meiner Frau und meinen Kindern. Denn durch das Ritual soll der Morgen ja nicht noch stressiger werden, sondern ruhiger und konzentrierter.
Das Ritual beginnt daher mit zehn Minuten Stille. Zehn Minuten in der Stille sitzen und atmen. Nichts weiter. Den Atem beobachten, wie er von selber kommt und geht. Hier und jetzt. Ein und aus. Ganz gegenwärtig. Nicht bei den den quälenden Fragen der schlaflosen Stunden, auch nicht bei den schönen Träumen der vergangenen Nacht. Nicht bei der Klassenarbeit in der ersten Stunde oder dem Referat in der dritten. Nicht bei der Party am nächsten Wochenende. Nein, hier und jetzt. Zehn Minuten. Sitzen und atmen. Einfach dasein.
Ein leiser Gong sagt mir, wann die zehn Minuten um sind. (Dafür gibt es übrigens eine App.) Dann ist es Zeit für das Gebet. Ich habe eine kurze Liturgie mit Lied, Psalm, Lesung, Gebet und Segen. Sie dauert auch etwa zehn Minuten. Sie orientiert sich an der Laudes, dem Morgengebet, das in den Ordensgemeinschaften und Klöstern gesungen wird. Laudes heißt übersetzt Morgenlob und genau das ist es auch. Ein Lobgebet, das Dankbarkeit zum Ausdruck bringt. Dankbarkeit für das Licht des neuen Tages. Dankbarkeit für die Lebenszeit, die mir dieser Tag schenkt. Dankbarkeit für Chancen, die der Tag mir eröffnet. Dankbarkeit und Demut. Weil mir klar wird, dass nicht ich den neuen Tag gemacht habe. Dass ich diesen Tag nutzen kann für das, was mir wichtig ist, dass das Gelingen des Tages aber nicht von mir allein abhängt. Dass – egal wie der Tag auch laufen wird – morgen früh ein neuer Tag anbricht.
So geht mein Morgenritual: Zwanzig Minuten Zeit für Stille und Gebet. Das klingt nicht viel spektakulärer als die Morning-App von Thomas Schröder. Aber wie schreibt er so schön: „Es sind ja bekanntlich oft die einfachen Ideen, die die größten Revolutionen anstoßen.“[2] – Vielleicht sind die Herbstferien ja eine gute Gelegenheit, einen eigenen guten Start in den Tag zu suchen und auszuprobieren. Erzählt mal davon, wenn die Schule wieder anfängt. Ich bin gespannt. Und überzeugt, dass es sich lohnt!
[1] Thomas Schröder: Morning – Und plötzlich ist der Morgen aufgeräumter. In: http://www.zeit.de/digital/mobil/2015-01/morning-briefing-app-test (02.10.2016).
[2] Ebd.
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