Predigt in der Osternacht 2018 in Kaiserwerth

Der Herr ist auferstanden.

Er ist wahrhaftig auferstanden!

Das ist die Botschaft in der Osternacht. Wir haben sie im Lesen und Hören, Beten und Singen zum Ausdruck gebracht. Mit der Predigt folgt nun der nüchterne Praxis-Check: Ist die Osterbotschaft bei uns angekommen? In unseren Köpfen und Herzen? Woran erkennt man ihre Wirkung? Hat die Auferstehung Jesu etwas verändert? Wie misst man die Wirkung von Ostern? – An der Hoffnung. Das sagt jedenfalls Paulus und der ist sicher kein schlechter Ratgeber. Immerhin verdanken wir ihm die ältesten schriftlichen Zeugnisse über die Wirkung der Osterbotschaft. Hoffnung. Das ist für Paulus das entscheidende Maß für die Wirkung der Auferstehung Jesu. Nachzulesen ist das im Predigttext für Osternacht, im vierten Kapitel des erstens Thessalonicherbriefs:

Wir wollen euch nicht im Ungewissen lassen
über die, die entschlafen sind,
damit ihr nicht traurig seid wie die andern,
die keine Hoffnung haben.

Denn wenn wir glauben,
dass Jesus gestorben und auferstanden ist,
so wird Gott auch die, die entschlafen sind,
durch Jesus mit ihm hinaufführen

(1Thess 4,13f)

Offenbar ist der Praxis-Check der Osterbotschaft in Thessaloniki eher ernüchternd ausgefallen. Nicht, dass die Thessalonicher die Auferstehungsbotschaft nicht gekannt hätten. – Die hatten Paulus und seine Mitarbeiter ihnen mehr als einmal und überaus eindringlich verkündigt (vgl. 1Thess 1,10). Nicht, dass die Thessalonicher der Osterbotschaft nicht geglaubt hätten. – Im Gegenteil. Der Glaube der Gemeinde wird von Paulus als besonders vorbildlich gelobt (vgl. 1Thess 1,7). Was ist passiert? – Der Tod ist passiert. In der Gemeinde ist jemand gestorben. Damit aber hatten die Thessalonicher nicht gerechnet. Sie hatten ihren Glauben so fest auf das nahe Ende der Zeiten und die Wiederkunft Christi gerichtet, dass sie wie selbstverständlich davon ausgingen, dass sie alle das lebend erreichen würden (vgl. 1Thess 4,15). Das jemand von ihnen vorher sterben könnte, das lag völlig außerhalb ihrer Erwartung. Bis es passiert ist und der sonst so vorbildliche Glaube der Thessalonicher und ihre Hoffnung bedrohlich ins Wanken gerieten. So bedrohlich offenbar, dass Paulus sich genötigt sah, einzugreifen und der Gemeinde zu schreiben. Damit kein Missverständnis aufkommt: Paulus findet es nicht bedrohlich, dass die Thessalonicher um einen Verstorbenen trauern. Er weiß, dass die Trauer ihr Recht bekommen muss. Er weiß aber auch, dass die Trauer nicht das letzte Wort behalten darf. Sonst ist die Hoffnung in Gefahr.

Wir wollen euch nicht im Ungewissen lassen
über die, die entschlafen sind,
damit ihr nicht traurig seid wie die andern,
die keine Hoffnung haben.

(1Thess 4,13)

Damit ist nicht gemeint, dass Christinnen und Christen nicht trauern dürften. Aber die Trauer darf nicht zur Hoffnungslosigkeit führen. Die Gefahr aber besteht, damals wie heute. „Der Tod löscht das Leben aus, damit aber doch auch, so will es scheinen, alle seine Zukunft.“[1] Wer von einem geliebten Menschen Abschied nehmen musste, der weiß das nur zu gut. Wenn der Sarg ins Grab gesenkt wird, ist das der schwerste Moment, weil dann zur Realität wird, dass dieses Leben unwiederbringlich zu Ende ist. Abrupt endet der Weg vor einem Abgrund. So wie auf dem Bild Highway von Hans-Werner Sahm. Es zeigt eine hohe Brücke. Oder zumindest einen Teil davon. Sie ist offensichtlich noch im Bau. Das Geländer ist nur provisorisch aus rohen Brettern zusammengezimmert und man ahnt mehr als dass man es sieht, wie das fertige Bauwerk aussehen wird. Ihr Ende hängt in der Luft. Bedrohlich und in Schwindel erregender Höhe bricht die Brücke einfach ab. Wer auf dieser Brücke unterwegs ist, wird zum Anhalten gezwungen, wenn er an ihr Ende kommt. Erschrocken und irritiert wird er oder sie sich umschauen. Nur um festzustellen, dass es da wirklich nicht weitergeht. Abrupt endet der Weg vor einem Abgrund. Kein Weg, keine Zukunft, keine Hoffnung. – Paulus hat schon Recht. Der Tod ist mit Abstand die größte Gefahr für unsere Hoffnung. Und damit auch der härteste Praxis-Check für die Osterbotschaft.

Denn wenn wir glauben,
dass Jesus gestorben und auferstanden ist,
so wird Gott auch die, die entschlafen sind,
durch Jesus mit ihm hinaufführen.

(1Thess 4,14)

Paulus lenkt unseren Blick auf die kleinen Details des Bildes, die wir angesichts des bedrohlichen Abgrunds leicht übersehen. Schauen Sie noch einmal genau hin: Ganz so abrupt und vollständig, wie es auf den ersten Blick scheint, endet die Brücke auf dem Bild gar nicht: Das Geländer ragt auffällig weit über den fertigen Teil hinaus. Die Brücke endet jetzt zwar hier, aber dem Bauplan zu folge soll es doch wohl weitergehen. Weiter, über den Abgrund hinweg, auf ein Ziel hin, das noch nicht zu sehen ist. Nur das Geländer ist schon da. Obwohl der Rest des Plans vollkommen verborgen bleibt, ist das Geländer schon da. Es ist da!

Für Paulus ist das mehr als nur ein kleines, unbedeutendes Detail. Es ist der Grund unseres Glaubens und unserer Hoffnung: Jesus selber ist das Geländer. Er ist das Geländer, das in die Ungewissheit hineinreicht. Ein Geländer, an dem sich unser Glaube festhält, wenn die Trauer uns zu überwältigen droht. Das unsere Hoffnung hochhält, wenn der Schmerz uns den Boden unter den Füßen wegzureißen droht. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, dann macht uns das gewiss, dass die Brücke des Lebens nicht am Abgrund des Todes endet, sondern weiterreicht, weil Gott auch die, die entschlafen sind, durch Jesus mit ihm hinaufführen wird. (1Thess 4,14) Deshalb schreibt Paulus den Thessalonichern: Wir wollen euch nicht im Ungewissen lassen über die, die entschlafen sind. (1Thess 4,13) Deshalb sind am Ende der Brücke – wenn man sehr gute Augen hat – weiße Fahnen zu sehen. Nicht rote Fahnen, die vor dem Ende, dem Abgrund warnen. Nein, weiße Fahnen, die das Ziel markieren und den Sieg. Den Sieg Lebens über den Tod. Den Sieg der Hoffnung über die Trauer.

Das ist die Botschaft in der Osternacht. – Ist sie bei uns angekommen? In unseren Köpfen und Herzen? Woran erkennt man ihre Wirkung? Hat die Auferstehung Jesu etwas verändert? Wie misst man die Wirkung von Ostern? – Hoffnung, sagt Paulus. – Hoffnung ist das entscheidende Maß für die Wirkung der Auferstehung Jesu in unserem Leben. Ich denke, Sie können ihn selber machen, den Praxis-Check der Osterbotschaft: Auf einer Skala zwischen tödlicher Angst und lebendiger Hoffnung, wo liegen Sie, wenn Sie die gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen einschätzen ein oder die künftigen politischen Entwicklungen? Wo liegen Sie, wenn Sie über die internationalen Konflikte nachdenken oder die globale klimatische Entwicklung? Wo liegen Sie, wenn Sie über ihre eigene Zukunft nachdenken? Oder die ihrer Kinder? Oder die Ihrer Eltern? Wie wirkt sich das auf ihre Zukunftsplanung aus? Wie auf die Erziehung ihrer Kinder? Oder auf die Pflege Ihre Eltern? – Wo liegen Sie auf einer Skala zwischen tödlicher Angst und lebendiger Hoffnung?

Egal wo sie liegen, viel wichtiger ist: Wie kommen Sie von dort weiter in Richtung Hoffnung? – Durch kleine, mutige Schritte. Weg von dem, was Angst macht und lähmt. Hin zu dem, was Zuversicht vermittelt und Hoffnung schenkt. Durch größtmögliche Gemeinschaft. Damit immer wenigstens einer oder eine da ist, der oder die Hoffnung weckt, wenn andere die Angst überfällt (vgl. 1Thess 4,18). Durch praktische Übung. Angst ist häufig theoretisch, d.h. sie entsteht im Nachdenken, über Dinge die sein oder passieren könnten. Hoffnung dagegen ist ganz praktisch. Einen Versuch wagen, einen Blick riskieren, eine Mauer überwinden, eine Tür öffnen, ein Gespräch beginnen… Vor allem aber: Durch Erinnerung an die Osterbotschaft. Durch Lesen und Hören, Beten und Singen, Abendmahl feiern.

Wenn Gott den Tod besiegt hat, dann ist nichts – aber auch gar nichts mehr – die Grenze unserer Hoffnung. Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Das ist unsere Hoffnung!


[1]Traugott Holtz: Der erste Brief an die Thessalonicher [EKK XIII], Neukirchen-Vluyn 1986, 206.