Predigt in der Osternacht 2022 in der Stadtkirche Kaiserswerth

Es war Abend geworden
an diesem ersten Wochentag nach dem Sabbat.
Die Jünger waren beieinander
und hatten die Türen fest verschlossen.
Denn sie hatten Angst vor den jüdischen Behörden.
Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte:
»Friede sei mit euch!«
Nach diesen Worten
zeigte Jesus ihnen seine Hände und seine Seite.
Die Jünger freuten sich sehr, als sie den Herrn sahen.
Jesus sagte noch einmal:
»Friede sei mit euch!
Wie mich der Vater gesandt hat,
so sende ich jetzt euch!«

(Johannes 20,19-21)

Endlich Ostern. Endlich hat die Pandemie ihren harten Griff ein wenig gelockert. Endlich hat die Frühlingssonne an Kraft gewonnen. Endlich Feiertage und Osterferien. – Doch ganz so richtig will sie nicht ankommen bei mir die Osterfreude. Ich traue den sinkenden Inzidenzen nicht. Die Feiertage sind mir deutlich zu kurz und Osterferien habe ich nicht mehr, seit ich vom TFG ins Landeskirchenamt gewechselt bin. Gut, die Sonne scheint, aber der Wind ist noch eiskalt. – Vor allem aber der Krieg, die erbarmungslose Brutalität, die wehrlosen Opfer, die Angst vor einer atomaren Eskalation. Es ist Ostern, endlich Ostern. Aber es fühlt sich nicht so an…
Es war Abend geworden an diesem ersten Wochentag nach dem Sabbat. Die Jünger waren beieinander und hatten die Türen fest verschlossen. Denn sie hatten Angst vor den jüdischen Behörden. (Joh 20,19a)
Auch bei den Jüngern kam sie offenbar nicht an. Die Botschaft der Frauen, die früh morgens am Grab waren. Ihre Erzählung vom leeren Grab. Und der Begegnung mit Jesus, der lebt. So wie er gesagt hatte.
Endlich ist es geschehen. Aber es fühlt sich nicht so an… Die Türen fest verschlossen. Ein Treffen im engsten Kreis. Die Angst sitzt mit am Tisch.

***

Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: »Friede sei mit euch!« (Joh 20,19b) Friede. Wie lange sie sich danach schon sehnten. Seit die Römer das Land überfallen und Jerusalem besetzt hatten. Aufstände blutig niederschlugen und hunderte Kreuze errichteten vor der Stadt zur Abschreckung. Friede. Wie lange sie sich danach schon sehnten. Seit die Gesellschaft immer stärker zerrissen wurde. Zwischen denen, die sich mit dem Schwert zur Wehr setzen wollten und denen, denen es angemessen erschien, sich zu arrangieren und damit ganz gut lebten. Und den vielen, vielen Positionen zwischen den Extremen. Friede. Wie lange sie sich danach schon sehnten. Seit Herz und Verstand um die Vorherrschaft in ihren Seelen rangen. Hin und her gerissen zwischen Mut und Verzweiflung. Zwischen Hoffnung und Resignation. Zwischen Glauben und Zweifel.
Friede sei mit euch! – Schalom. Ein vollkommen alltäglicher Gruß. Tausendmal schon gehört und tausendmal schon gesagt. Schalom. Nichts Besonderes… Wäre da nicht da nicht der Abschied gewesen mit dem Abendmahl. Die schreckliche Szene in Gethsemane. Die Verhandlung, die Folter, das Leiden, der Tod. Wäre da nicht die verschlossene Türe gewesen. Ihre Zweifel und ihre Angst. Und dann plötzlich ER, in ihrer Mitte. Friede sei mit euch!

***

Nach diesen Worten zeigte Jesus ihnen seine Hände und seine Seite. (Joh 20,20a) ER kommt nicht herein und grüßt, als sei nichts geschehen. ER kommt herein und bringt all das mit, was ihm widerfahren ist und was ER auf sich genommen hat. ER kommt herein und bringt all das mit, wovor die Jünger die Türen so fest verschlossen hatten. Mit all dem tritt ER in ihre Mitte. Damit sie sehen und begreifen können, dass Not und Gefahr nicht zu leugnen sind. Dass Leiden und Tod sich nicht aussperren lassen. Dass Angst und Verzweiflung durchaus berechtigt sind.
Mit all dem tritt der Gekreuzigte in ihre Mitte. Und ER lebt. Folter, Leiden und Tod sind real. Und sie sind stark. Doch Gottes Macht, die ist stärker. Sie hat das letzte Wort, komme, was wolle. Die Jünger freuten sich sehr, als sie den Herrn sahen. (Joh 20,20b) Die Angst war der Freude gewichen. Der Zweifel war dem Vertrauen. Und die Resignation der Hoffnung.

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Jesus sagte noch einmal: »Friede sei mit euch! (Joh 20,21a) Jetzt klingt er noch mal ganz anders, dieser Gruß. Es ist der gekreuzigte Herr, der lebendige Christus, der spricht. ER gibt ihnen SEINEN Frieden. Der ist mehr als weltlicher Friede. Greift weiter als jedes Schweigen der Waffen. Dringt tiefer als jede pazifistische Haltung. Ist höher als alle Vernunft. SEIN Friede erfüllt ihre Herzen mit Freude und vertreibt Angst und Furcht. SEIN Friede hält Herz und Verstand im Glauben zusammen. SEIN Friede ist Geschenk und Aufgabe zugleich. Jesus spricht: Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich jetzt euch!« (Joh 20,21)
Vorbei soll es sein mit den verschlossenen Türen. – Damals wie heute. – Vorbei mit der Angst. Weil unser Glaube größer ist als unsere Angst. Vielleicht nur ein ganz kleines Bisschen, aber das reicht, um Leid und Tod die Stirn zu bieten. Vorbei mit der Vorsicht. Weil unsere Liebe größer ist als die Sorge um uns selbst. Vielleicht nur ein kleines Bisschen, aber das reicht, um Ernst zu machen mit Solidarität und Nächstenliebe. Vorbei mit der Resignation. Weil unsere Hoffnung größer ist als unsere menschlichen Möglichkeiten. Vielleicht nur ein kleines Bisschen, aber das reicht, um uns einzusetzen für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung. Es ist Ostern. Endlich Ostern. So fühlt sich das an.